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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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mit ihnen Kontakt auf zunehmen. Bei Richard Llewellyn war ich recht erfolgreich, wie ich bereits geschildert habe; allein sein Bericht beschäftigte mich mehrere Tage lang.
    Es gelang mir auch, einer jungen Lehrerin aus St. Rose de Lima’s »über den Weg zu laufen«; sie hatte Deirdre gekannt, und ihre Aussage erklärte so manches. Tragischerweise glaubte diese junge Frau, Deirdre habe eine Affäre »mit einem älteren Mann« gehabt und sei ein verdorbenes, verlogenes Mädchen gewesen. Andere Schülerinnen hätten von dem Mayfair-Smaragd gewußt. Man sei zu dem Schluß gekommen, Deirdre habe ihn ihrer Tante gestohlen. Denn warum hätte das Kind sonst einen so wertvollen Edelstein mit in die Schule bringen sollen?
    Je länger ich mit der Frau sprach, desto klarer wurde mir, daß Deirdres sinnliche Aura einen starken Eindruck auf ihre Umgebung machte. »Sie war so… reif, wissen Sie. Ein junges Mädchen hat mit sechzehn Jahren eigentlich nicht solche enormen Brüste zu haben.«
    Arme Deirdre. Sie hatte keine Chance gehabt in einem derart prüden Umfeld. Ich beendete das Gespräch und kehrte in mein Hotel zurück, trank dort einen steifen Brandy und hielt mir selbst einen Vortrag darüber, wie gefährlich es war, zu emotional an diesen Fall heranzugehen.
    Leider hatten sich meine Gefühle noch nicht beruhigt, als ich am nächsten und am übernächsten Tag den Garden District besuchte; stundenlang spazierte ich durch die stillen Straßen und beobachtete das Haus in der First Street von allen Seiten. Nachdem ich jahrelang von diesem Haus und seinen Bewohnern gelesen hatte, empfand ich dies als überaus erregend. Wenn jemals ein Haus eine Atmosphäre des Bösen verströmte, dann dieses.
    Warum? fragte ich mich.
    Es war inzwischen extrem herunter gekommen. Die violette Farbe am Mauerwerk war verblichen. Gräser und winziges Farnkraut wuchsen in Rissen und auf Simsen. Blühende Ranken bedeckten die Galerien an den Seiten, so daß die schmiedeeisernen Ziergitter kaum noch zu sehen waren, und wilder Kirschlorbeer schirmte den Garten vor allen Blicken ab.
    Dennoch hätte es romantisch aussehen müssen. Aber in der lastenden Sommerhitze, im Licht der grellen Sonne, die einschläfernd und staubig durch die Bäume schien, sah das ganze Anwesen klamm und düster und entschieden unfreundlich aus. In den Stunden, in denen ich müßig dastand und es betrachtete, merkte ich, daß Passanten unweigerlich auf die andere Straßenseite hinüberwechselten, wenn sie näherkamen.
    Etwas Böses wohnte in diesem Haus, es wohnte und atmete dort, es wartete, und vielleicht trauerte es auch.
    Wieder – und nicht ohne Grund – beschuldigte ich mich übertriebener Emotionalität. Ich ging meine Eindrücke noch einmal systematisch durch. Dieses Etwas war böse, weil es zerstörerisch war. Es »lebte und atmete« insofern, als es die Umgebung beeinflußte und seine Anwesenheit spürbar war. Was meine Überzeugung anging, daß dieses Etwas trauerte, so brauchte ich mir nur in Erinnerung zu rufen, daß seit Stellas Tod kein Handwerker irgendwelche Reparaturen hatte durchführen können. Seit Stellas Tod war der Verfall stetig vorangeschritten. Wollte dieses Wesen vielleicht, daß das Haus verrottete, wie Stellas Leichnam im Grab verweste?
    Ach, so viele Fragen ohne Antworten. Ich ging zum Lafayette-Friedhof und besuchte die Gruft der Mayfairs. Ein freundlicher Aufseher erzählte mir, daß immer frische Blumen in den Steinvasen vor dem Eingang ständen, ohne daß man je sähe, wer sie dort hinstellte.
    »Glauben Sie, es ist irgendein alter Liebhaber von Stella Mayfair?« fragte ich.
    »O nein«, sagte der alte Mann und lachte krächzend. »Liebe Güte, nein. Er macht das, er, der Geist der Mayfairs. Er ist es, der die Blumen hier hinstellt. Und soll ich Ihnen was sagen? Manchmal klaut er sie vom Altar in der Kapelle. Sie kennen die Kapelle unten in der Prytania Street? Pater Morgan kam hier eines Nachmittags wutschnaubend an. Hatte anscheinend gerade die Gladiolen aufgestellt, und schon standen sie hier in den Vasen vor dem Grab der Mayfairs. Er ging rüber zur First Street und klingelte. Ich hörte, wie Miss Carl ihm sagte, er sollte sich zum Teufel scheren…« Der Mann wollte sich totlachen über eine solche Vorstellung: daß jemand einen Priester aufforderte, sich zum Teufel zu scheren.
    Ich mietete mir ein Auto und fuhr auf der Uferstraße hinunter nach Riverbend, um zu erforschen, was von der Plantage noch übrig war, und dann rief ich unsere

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