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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Rosemarys Baby, um Gottes willen, und mit dem albernen Wiege des Bösen, wo das Monsterbaby den Milchmann ermordete, als es Hunger bekam! Die Bilder holten ihn überall ein. Babys – Föten. Er sah sie überall, wohin er sich auch wandte.
    Er dachte darüber nach, wie er früher über die prächtigen Häuser und die eleganten Menschen in den alten, schwarzweißen Horrorfilmen seiner Jugend nachgedacht hatte.
    Sinnlos, über all das mit seinen Freunden zu reden. Sie hatten gefunden, Judith habe recht, und sie würden nie verstehen, was er da über das Kino und die Babys erzählte. Horrorfilme sind unsere unruhigen Träume, dachte er. Und heutzutage sind wir besessen von der Geburt, von verhinderter Geburt, von Geburt, die sich gegen uns wendet. Und seine Erinnerung ging zurück zum »Happy Hour Theater«. Er sah Frankensteins Braut noch einmal. Damals hatte ihnen also die Naturwissenschaft Angst eingeflößt, damals und noch früher, als Mary Shelley ihre inspirierenden Visionen niedergeschrieben hatte.
    Oh, er würde das alles nicht ergründen. Er war eigentlich kein Historiker und kein Sozialwissenschaftler. Vielleicht war er dazu nicht clever genug. Er war Bauunternehmer von Beruf. Am besten hielt er sich an das Aufarbeiten von Eichenholzparkett und das Polieren von Messingarmaturen.
    Und außerdem haßte er die Frauen nicht. Nein. Er fürchtete sich auch nicht vor ihnen. Frauen waren Menschen, und manchmal waren sie bessere Menschen als die Männer: sanfter, barmherziger. Meistens zog er ihre Gesellschaft der von Männern vor. Und es hatte ihn nie gewundert, daß sie – von dieser einen Ausnahme abgesehen – das, was er zu sagen hatte, mit viel mehr Einfühlungsvermögen verstanden als Männer.
    Die Zeit verging, und Michael verlor ein wenig seinen Glauben daran, daß er je die Liebe finden würde, die er sich wünschte.
    Aber er lebte in einer Welt, in der viele Erwachsene diese Liebe nicht hatten. Sie hatten Freunde, Freiheit, Stil, Reichtum, Karrieren, aber nicht diese Liebe. Das war der Zustand modernen Lebens, und das galt auch für ihn. Und er gewöhnte sich daran, es als selbstverständlich zu empfinden.
    Er hatte jede Menge Kumpel bei der Arbeit, alte College-Kollegen, und keinen Mangel an weiblicher Gesellschaft, wenn ihm danach zumute war. Und als sein achtundvierzigster Geburtstag kam, dachte er sich, es sei immer noch Zeit für alles. Er fühlte sich jung und sah auch so aus, genau wie alle anderen seines Alters in seiner Umgebung. Er hatte doch sogar noch diese verdammten Sommersprossen! Und die Frauen schauten ihm immer noch nach, das stand fest. Tatsächlich fiel es ihm jetzt sogar leichter, ihr Interesse zu wecken, als früher, wo er noch ein übereifriger junger Mann gewesen war.
    Wer konnte es wissen? Vielleicht würde seine kleine, beiläufige Affäre mit Therese, der jungen Frau, die er kürzlich im Symphoniekonzert kennengelernt hatte, ihm allmählich etwas bedeuten. Sie war zu jung, das wußte er, und in diesem Punkt ärgerte er sich über sich selbst – aber dann rief sie ihn an und sagte: »Michael, ich hatte erwartet, etwas von dir zu hören! Wirklich, du benutzt mich!« Was immer das bedeuten sollte… Und dann zogen sie zum Abendessen los, und danach ging es zu ihr nach Hause.
    Aber vermißte er nur eine tiefe Liebe? Oder war da noch etwas? Eines Morgens erwachte er und erkannte blitzartig, daß der Sommer, auf den er all die Jahre gewartet hatte, nicht mehr kommen würde. Und das elend klamme Klima der Stadt hatte sich bis in sein Mark gefressen. Niemals würde es warme Nächte voller Jasminduft geben. Nie würde ein warmer Wind vom Fluß oder vom Golf herüberwehen. Aber das mußte er akzeptieren, sagte er sich. Schließlich war dies jetzt seine Stadt. Wie konnte er je nach Hause gehen?
    Dennoch kam es ihm manchmal so vor, als sei San Francisco nicht mehr in satten Ocker- und römischen Rottönen gemalt, sondern in tristem Sepia, und als habe die trübe Grelle des ewig grauen Himmels seinen Geist abgestumpft.
    Selbst die schönen Häuser, die er restaurierte, schienen ihm manchmal nur noch Kulissen zu sein, bar jeder wirklichen Tradition, bunte Fallen, mit denen eine Vergangenheit eingefangen werden sollte, die es eigentlich nie gegeben hatte und die ein Gefühl der Solidität für Menschen schaffen sollten, die von Augenblick zu Augenblick in einer an Hysterie grenzenden Angst vor dem Tode lebten.
    Oh, aber er war ein Glückspilz, und das wußte er. Und bestimmt standen ihm noch

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