Hexenstunde
England…«
»Nein, Tante Viv…«
»Aber er ist kein Reporter. Wenigstens sagt er, er ist keiner. Er sagt, er kommt eigens aus London hierher. Sein Flugzeug aus New York ist eben gelandet, und schon ist er zur Haustür hereinspaziert.«
»Jetzt nicht. Du mußt ihn wegschicken, Tante Viv. Ich muß zurück. Ich muß nach New Orleans. Ich muß Dr. Morris anrufen. Wo ist das Telephon?«
Er kletterte aus dem Bett. In seinem Kopf drehte sich alles, und er blieb einen Moment still stehen, bis das Schwindelgefühl vergangen war. Aber es hatte keinen Sinn. Seine Gliedmaßen waren wie aus Blei. Er sank zurück ins Bett, zurück in die Träume. Ging durch Miss Havishams Haus. Der Mann im Garten nickte wieder.
Jemand hatte den Fernsehapparat abgeschaltet. »Schlaf jetzt«, sagte Tante Viv.
Er hörte, wie sich ihre Schritte entfernten. Klingelte das Telephon?
»Helft mir, irgend jemand«, flüsterte er.
3
Geh nur vorbei. Mach einen kleinen Spaziergang über die Magazine Street, die First hinunter und vorbei an dem großartigen und heruntergekommenen alten Haus. Sieh selbst, ob die Scheiben in den vorderen Fenstern zerbrochen sind. Sieh selbst, ob Deirdre Mayfair immer noch auf der Seitenveranda sitzt. Du brauchst ja nicht hinaufzugehen und nach Deirdre zu fragen.
Was, zum Teufel, glaubst du, wird passieren?
Pater Mattingly war wütend über sich selbst. Eigentlich wäre es seine Pflicht, diese Familie zu besuchen, bevor er wieder in den Norden hinauffuhr. Er war einmal ihr Gemeindepriester gewesen. Er hatte sie alle gekannt. Und es war über ein Jahr her, daß er hier im Süden gewesen war, daß er Miss Carl gesehen hatte, auf Miss Nancys Beerdigung.
Vor ein paar Monaten hatte einer der jungen Priester ihm geschrieben, daß Deirdre Mayfair rapide verfalle. Ihre Arme seien jetzt hochgezogen, dicht an der Brust: die Atrophie, die in solchen Fällen immer einsetzt.
Und Miss Carls Schecks für die Pfarrgemeinde kamen regelmäßig wie immer – jeden Monat einer jetzt anscheinend -, ausgestellt auf eintausend Dollar für die Redemptoristen-Gemeinde, ohne Bedingungen. Im Laufe der Jahre hatte sie ein Vermögen gestiftet.
Pater Mattingly sollte wirklich hingehen, nur um seine Reverenz zu erweisen und sich persönlich zu bedanken, wie er es vor Jahren immer getan hatte.
Die Geistlichen im Pfarrhaus kannten die Mayfairs heute nicht mehr. Sie kannten die alten Geschichten nicht. Sie waren nie in dieses Haus eingeladen worden. Sie waren erst in den letzten Jahren in die traurige alte Gemeinde gekommen, mit ihrer schrumpfenden Herde, ihren schönen, wegen der Vandalen mittlerweile verschlossenen Kirchen und den verfallenen alten Gebäuden.
Er war froh, daß dies nur ein kurzer Besuch war, denn jede Rückkehr war trauriger als die vorige. Wie auf einem Missionsposten war es hier, wenn man es sich recht überlegte. Ja, er hoffte, daß dies seine letzte Reise in den Süden war.
Aber er konnte nicht wegfahren, ohne die Familie zu besuchen.
Ja, geh hin. Du solltest es tun. Du solltest nach Deirdre Mayfair sehen. War sie nicht schließlich auch ein Pfarrkind?
Und es war nichts dagegen einzuwenden, daß man herausfinden wollte, ob der Klatsch der Wahrheit entsprach – daß sie versucht hatten, Deirdre im Sanatorium unterzubringen, und daß sie wild geworden war und die Scheiben in den Fenstern zerschlagen hatte, bevor sie wieder in ihre Katatonie verfallen war. Am 13. August sollte das passiert sein, vor nur zwei Tagen also.
Wer weiß, vielleicht wäre Miss Carl ein Besuch ganz willkommen?
Aber das waren Spiele, die Pater Mattingly in Gedanken spielte. Miss Carl wollte ihn heute so wenig sehen wie früher. Es war Jahre her, daß man ihn eingeladen hatte, einzutreten. Und Deirdre Mayfair war jetzt und für alle Zeit so lebendig wie »ein hübsches Bund Möhren«, wie ihre Krankenschwester es einmal ausgedrückt hatte.
Aber wie, zum Teufel, konnte ein »hübsches Bund Möhren« aufstehen und das ganze Glas in zwei fast drei Meter hohen Fenstern zerschlagen? Die Geschichte ergab wenig Sinn, wenn man darüber nachdachte. Und warum waren keine Männer vom Sanatorium gekommen, um sie abzuholen? Man hätte sie doch sicher in eine Zwangsjacke stecken können. Tat man das nicht in solchen Fällen?
Aber Deirdres Pflegerin hatte sie an der Tür aufgehalten und geschrien, sie sollten wieder gehen, denn Deirdre bleibe zu Hause und sie und Miss Carl würden sich um sie kümmern.
Jerry Lonigan, der Bestatter, hatte dem Pater
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