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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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lernte es. Beide Frauen neckten ihn wegen seiner Sommersprossen und seiner stämmigen Gestalt, und wegen der Art, wie ihm das schwarze Haar in die blauen Augen hing, und wie ihre Eltern ihn liebten, wenn sie zu Besuch kamen, und weil er einen Charme wie ein böser kleiner Junge hatte und weil er mit einer schwarzen Krawatte so gut aussah. Elizabeth nannte ihn ihren »tough guy mit dem goldenen Herzen«, und Judith gab ihm den Spitznamen Sluggo. Er nahm sie mit zum Boxkampf und zum Basketball und in gute Kneipen zum Biertrinken; er half ihnen, Gefallen an den Fußball- und Rugbyspielen zu finden, die sonntags im Golden Gate Park stattfanden – wenn sie nicht schon vorher etwas davon verstanden -, und brachte ihnen sogar bei, wie man sich auf der Straße prügelte, wenn sie es lernen wollten. Alles im Spaß natürlich. Er nahm sie auch mit in die Oper und Konzerte, die er mit fast religiöser Inbrunst besuchte. Und sie machten ihn mit Dave Brubeck, Miles Davis, Bill Evans und dem Kronos-Quartett bekannt.
    Die erste Trennung – von Elizabeth – war Michaels Schuld, nahm er an, weil er einfach zu jung war und nicht treu sein konnte. Elizabeth hatte genug von seinen anderen »Abenteuern«, obwohl er schwor, daß sie »nicht das geringste bedeuteten«, und schließlich packte sie ihre Sachen und verließ ihn. Das brach ihm das Herz, und zerknirscht folgte er ihr nach New York, doch es nutzte nichts. Er kehrte in sein Apartment zurück und betrank sich sechs Trauermonate lang immer wieder. Er konnte es nicht glauben, als Elizabeth einen Professor aus Harvard heiratete, und er jubelte, als sie sich ein Jahr später wieder scheiden ließ.
    Er flog nach New York, um sie zu trösten, sie hatten einen Streit im Metropolitan Museum oft Art, und er weinte auf dem Rückflug stundenlang. Ja, er sah so traurig aus, daß die Stewardeß ihn nach der Landung mit nach Hause nahm und sich drei Tage lang um ihn kümmerte.
    Als Elizabeth im nächsten Sommer zurück kam, war bereits Judith in Michaels Leben getreten.
    Judith und Michael lebten fast sieben Jahre zusammen, und niemand rechnete damit, daß sie sich je trennen würden. Dann wurde Judith unbeabsichtigt von Michael schwanger und beschloß gegen seinen Wunsch, das Kind nicht zu bekommen.
    Das war die schlimmste Enttäuschung, die Michael je erlebt hatte, und es zerstörte die Liebe zwischen den beiden restlos.
    Michael wollte Judith das Recht zu einer Abtreibung nicht streitig machen. Nein, er hätte dieses Recht sogar verteidigt. Aber er hätte nie gedacht, daß eine Frau, die in Luxus und Sicherheit mit ihm zusammenlebte, eine Frau, die er augenblicklich geheiratet hätte, wenn sie es erlaubt hätte, ihr gemeinsames Kind würde abtreiben wollen. Michael flehte sie an, es nicht zu tun. Es gehörte doch ihnen beiden, nicht wahr, und der Vater wünschte sich verzweifelt, es zu bekommen, und konnte den Gedanken nicht ertragen, daß es keine Chance zum Leben haben sollte. Es brauchte ja nicht bei ihnen aufzuwachsen, wenn Judith das nicht wollte. Michael würde dafür sorgen, daß es anderswo unterkäme. Er hatte genug Geld. Er würde das Kind allein besuchen, und Judith brauchte gar nichts davon zu wissen. Er hatte Visionen von Gouvernanten, erstklassigen Schulen – von all den Dingen, die er selbst nie gehabt hatte. Aber bedeutender war, daß es ein Lebewesen war, dieses ungeborene Baby, daß es Michaels Blut in seinen Adern hatte und daß er keinen vernünftigen Grund sah, weshalb es sterben sollte.
    Solche Äußerungen waren für Judith entsetzlich. Sie schnitten ihr bis ins Mark. Sie wollte in diesem Augenblick keine Mutter sein; sie hatte nicht das Gefühl, dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Sie hatte ihr Promotionsstudium an der Universität Berkeley fast beendet, aber ihre Dissertation mußte noch geschrieben werden. Und ihr Körper war nicht etwas, das man einfach dazu benutzen konnte, einem anderen Menschen ein Kind zu liefern. Der machtvolle Schock, dieses Kind zu gebären und dann aufzugeben, war mehr, als sie ertragen konnte. Sie würde ewig mit dieser Schuld leben. Daß Michael ihren Standpunkt nicht verstand, tat ihr sehr weh. Auf ihr Recht, ein ungewolltes Kind abzutreiben, hatte sie immer gezählt. Es war ihr Sicherheitsnetz sozusagen. Jetzt waren ihre Freiheit, ihre Würde, ihr Verstand bedroht.
    Für Michael ergab das alles keinen Sinn. Tod war besser als Verlassensein? Wie konnte Judith ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie das Kind weggäbe, und keines, wenn

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