Hexenstunde
sie es einfach vernichtete? Jawohl, beide Eltern sollten ein Kind haben wollen. Aber warum sollte ein Elternteil dann das Recht haben zu bestimmen, daß es nicht auf die Welt kommen könne? Sie waren nicht arm, sie waren nicht krank, und dieses Kind war nicht die Frucht einer Vergewaltigung. Sie hatten diesem Baby so viel zu geben. Selbst wenn es bei anderen Leuten lebte – was könnten sie nicht alles für das Kind tun! Warum, zum Teufel, mußte das kleine Ding vernichtet werden – und sie sollte nicht immer sagen, es sei keine Person, denn es sei auf dem Weg dahin, eine Person zu werden, sonst würde Judith es nicht umbringen wollen!
Endlich begann Michael seinen letzten Grabenkampf. Wenn Judith das Kind nur zur Welt brächte, würde er es mitnehmen und verschwinden, und Judith würde sie beide nie wiedersehen. Und dafür würde er tun, was Judith verlangte. Er würde ihr geben, was er hatte, wenn sie es haben wolle. Er weinte, als er sie anflehte.
Judith war am Boden zerstört. Michael hatte sich für dieses Kind und gegen sie entschieden. Er versuchte ihren Körper zu kaufen, ihr Leiden, dieses Ding, das in ihr wuchs. Sie ertrug es nicht mehr, mit ihm zusammen unter einem Dach zu sein. Sie verfluchte ihn für das, was er gesagt hatte. Sie verfluchte seine Herkunft, seine Ignoranz, und sie verfluchte vor allem seine erschütternde Unbarmherzigkeit gegen sie. Glaubte er, es sei einfach, was sie vorhatte? Aber alles in ihr sagte ihr, sie müsse diesen brutalen physischen Prozeß abbrechen, müsse das Leben vernichten, das nie hatte sein sollen und das sich jetzt an sie klammerte, gegen ihren Willen wuchs und Michaels Liebe zu ihr und ihr gemeinsames Leben zerstörte.
Furcht überkam Michael. Alles ringsum war grau. Nichts schmeckte gut, sah gut aus. Es war, als habe eine metallene Düsternis seine Welt erfaßt, als seien alle Farben und Empfindungen darin verblaßt. Er wußte, daß Judith Qualen litt, aber er konnte ihr nicht helfen. Tatsächlich konnte er nicht einmal verhindern, daß er sie haßte.
Er dachte an die Nonnen in der Schule, wie sie die Jungen mit der flachen Hand geohrfeigt hatten; er spürte den Griff der Nonnenfinger an seinem Arm, als sie ihn in die Reihe stießen; er erinnerte sich an sinnlose Macht, kleinliche Brutalität. Natürlich hatte das hier nichts damit zu tun, sagte er sich: Judith sorgte sich, Judith war ein guter Mensch. Sie tat, was sie tun zu müssen glaubte. Aber Michael fühlte sich jetzt so hilflos wie damals, als die Nonnen durch die Korridore patrouilliert waren, Monster in ihren schwarzen Schleiern, deren pochender Schritt in den Männerschuhen über den gebohnerten Holzboden hallte.
Judith zog aus, während Michael bei der Arbeit war. Die Rechnung für die Abtreibung – ein Arzt und eine Klinik in Boston – kam eine Woche später. Michael schickte seinen Scheck an die entsprechende Adresse. Judith sah er nie wieder.
Danach war Michael für lange Zeit ein Einzelgänger. Erotische Kontakte mit fremden Frauen hatten ihm nie Spaß gemacht. Aber jetzt hatte er Angst davor, und er wählte sich seine Partnerinnen nur noch gelegentlich und höchst anspruchsvoll. Er war äußerst vorsichtig. Er wollte nicht noch mehr verlorene Kinder.
Zudem stellte er fest, daß es ihm nicht gelang, das tote Baby zu vergessen – den toten Fötus, besser gesagt. Dabei hatte er nicht die Absicht, über das Kind zu brüten – »Little Chris« hatte er es getauft, doch das brauchte niemand zu wissen -, aber er fing an, Bilder von Föten in den Filmen, die er sich anschaute, und in den Anzeigen in den Zeitungen zu entdecken.
Wie immer war das Kino in Michaels Leben ein bedeutender Faktor. In einem dunklen Kino fiel er in Trance. Er spürte eine Art animalischer Verbindung zwischen dem, was auf der Leinwand stattfand, und seinen eigenen unbewußten Träumen sowie seinen Bemühungen, die Welt zu ergründen, in der er gerade lebte.
Und jetzt sah er diese wunderliche Sache, die niemand außer ihm erwähnte: Hatten die Kinomonster dieser Tage nicht bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den Kindern, die tagtäglich in den Kliniken der Nation abgetrieben wurden?
In Ridley Scotts Alien zum Beispiel, wo das kleine Ungeheuer aus der Brust eines Mannes ins Leben tritt, ein quiekender Fötus, der seine wunderliche Gestalt behält, während er wächst und sich an menschlichen Opfern mästet.
Oder Carpenters Ding aus einer anderen Welt mit seinen schreienden Fötenköpfen! Und was war mit dem alten Klassiker
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