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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Zärtlichkeit und Beschützerkraft in seinem Blick berührten ihr Herz.
    »Einander lieben, Rowan. Einander lieben. Weißt du – so sicher, wie ich mir bei den Visionen bin, so sicher bin ich auch: Es gehört zu niemandes Plan, daß wir einander wirklich lieben.«
    Sie trat an ihn heran und schlang ihre Arme um seinen Oberkörper. Sie fühlte, wie seine Hände über ihren Rücken glitten und sich warm und zärtlich in ihren Nacken und ihr Haar legten. Er hielt sie wunderbar fest und vergrub das Gesicht an ihrem Hals, und dann küßte er sie sanft auf den Mund.
    »Liebe mich, Rowan. Vertraue mir und liebe mich.« Seine Stimme klang so aufrichtig, daß es ihr fast das Herz brach. Er löste sich von ihr, schien sich ein wenig in sich selbst zurückzuziehen; dann nahm er ihre Hand und führte sie zu der Terrassentür. Dort blieb er stehen und schaute in die Dunkelheit hinaus.
    Dann öffnete er die Tür. Es war kein Schloß daran. Vielleicht hatten sie alle kein Schloß.
    »Können wir hinausgehen?« fragte er.
    »Natürlich. Warum fragst du?«
    Sie traten hinaus auf eine mit Fliegendraht vergitterte Veranda, viel kleiner als die, auf der die alte Frau gestorben war, und gingen durch eine zweite Tür weiter, die sich bis auf die Feder, die sie hinter ihnen zufallen ließ, nicht von allen anderen altmodischen Fliegentüren unterschied. Holzstufen führten hinunter auf die Steinplatten.
    »Das alles ist okay«, stellte er fest. »Es ist eigentlich nicht in schlechtem Zustand.«
    »Aber was ist mit dem Haus an sich? Kann man es erhalten, oder ist es zu sehr heruntergekommen?«
    »Dieses Haus?« Er lächelte und schüttelte den Kopf, und seine blauen Augen leuchteten vor Freude, als er sie ansah und dann zu der schmalen offenen Veranda hoch über ihnen hinaufschaute. »Honey, dieses Haus ist wunderbar, ganz wunderbar. Es wird noch hier sein, wenn es uns beide nicht mehr gibt. Ich bin noch nie in einem solchen Haus gewesen. Nicht in all meinen Jahren in San Francisco.« Er brach ab; anscheinend beschämte es ihn, daß ihm alles so gut gefiel, und er fing sich wieder in der unglücklichen Trauer um die alte Frau, genau wie sie.
    »Du liebst es, nicht wahr?«
    »Ich liebe dieses Haus, seit ich ein kleiner Junge war«, bekannte er. »Ich habe es geliebt, als ich es vor zwei Tagen wiedersah. Ich liebe es auch jetzt noch, obwohl ich alles von dem weiß, was darin geschehen ist – sogar, was mit dem Burschen auf dem Dachboden passiert ist. Ich liebe es, weil es dein Haus ist. Und weil… weil es schön ist, egal, was irgend jemand darin oder damit getan hat. Es war schön, als es erbaut wurde. Und es wird noch in hundert Jahren schön sein.«
    Wieder legte er den Arm um sie, und sie hielt sich an ihm fest, schmiegte sich an ihn und fühlte, wie er ihr Haar küßte. Seine behandschuhten Finger berührten ihre Wange. Am liebsten hätte sie diese Handschuhe heruntergerissen. Aber das sagte sie nicht.
    »Weißt du, es ist schon komisch«, sagte er. »In all den Jahren in Kalifornien habe ich an so manchem Haus gearbeitet. Und geliebt habe ich sie alle. Aber keines hat mich je spüren lassen, daß ich sterblich bin. Keines hat mir je das Gefühl gegeben, daß ich klein bin. Aber dieses Haus tut es. Es tut es, weil es tatsächlich noch hier sein wird, wenn ich nicht mehr da bin.«
    Sie drehten sich um und gingen in den Garten hinaus; sie fanden die Steinplatten, obwohl das Unkraut sie in Büscheln überwucherte, obwohl die Bananenstauden so dicht und niedrig wuchsen, daß ihre großen Blattwedel ihre Gesichter streiften.
    Ein saurer grüner Geruch stieg auf wie von einem Sumpf, und Rowan erkannte, daß sie auf ein langgestrecktes Wasserbecken blickte. Es war so dick überwuchert, daß der Wasserspiegel nur hier und da matt aufblinkte. Wasserlilien schimmerten kühn im zarten Licht vom fernen Himmel. Insekten brummten schwer und unsichtbar. Frösche sangen, und manchmal regte sich etwas im Wasser, so daß das Licht plötzlich sogar tief im Schilf zu flirren begann. Ein geschäftiges Rieseln war zu hören, als werde der Pool von Springbrunnen gespeist, und als sie blinzelte, sah sie die Tüllen, die ihre dünnen, funkelnden Wasserstrahlen ausspuckten.
    »Den hat Stella gebaut«, sagte er. »Sie hat ihn vor über fünfzig Jahren gebaut. Er hat überhaupt nicht so aussehen sollen. Es war ein Swimming-pool. Und jetzt hat ihn der Garten. Die Erde hat sich alles zurückgeholt.«
    Wie traurig er klang. Es war, als habe er etwas bestätigt

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