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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und vielleicht ist das genau die Sorte Stolz, die es bei jedem erwartet, der es sieht. Vielleicht zählt es darauf.
    Und wenn du dieses Gefühl nicht hast – na, dann bist du klüger und stärker als ich, und zwar bei weitem. Ich habe noch nie mit einem Geist oder Gespenst gesprochen – oder was immer er sonst sein mag. Junge, ich würde mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, nicht einmal in Anbetracht dessen, was ich weiß und was er mit Aaron gemacht hat.«
    Er stand auf und griff nach der Schmuckschatulle; er zog sie über die glatte Tischplatte heran, öffnete sie und betrachtete den Smaragd.
    »Na los«, sagte sie. »Faß ihn an.«
    »Er sieht nicht aus wie die Zeichnung, die ich von ihm gemacht habe«, flüsterte er. »Ich habe ihn mir vorgestellt, als ich die Zeichnung machte, aber ich habe mich nicht erinnert.« Er schüttelte den Kopf. Er schien den Deckel zuklappen zu wollen, aber dann zog er den Handschuh aus und legte einen Finger auf den Edelstein.
    Sie wartete schweigend. Aber sie sah an seinem Gesicht, daß er enttäuscht und beunruhigt war. Als er das Kästchen seufzend zuklappte, drängte sie ihn nicht.
    »Ich habe ein Bild von dir gesehen«, sagte er. »Wie du den Stein um den Hals legst. Und ich habe mich gesehen, wie ich vor dir stand.«
    Sorgfältig zog er den Handschuh wieder an.
    »Das war, als du hereinkamst.«
    »Ja«, sagte er kopfnickend. »Ich habe gar nicht bemerkt, daß du ihn trugst.«
    »Aber als du ihn jetzt berührt hast – hast du noch etwas gesehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nur, daß du mich liebst«, sagte er mit dünner Stimme. »Das tust du wirklich.«
    »Um das heraus zu finden, genügt es, wenn du mich berührst«, sagte sie.
    Er lächelte, aber es war ein trauriges, verwirrtes Lächeln. Er schob die Hände in die Taschen, als wolle er sie los werden, und ließ den Kopf hängen. Sie wartete eine ganze Weile; es war abscheulich, ihn so elend zu sehen.
    »Komm, laß uns gehen«, sagte sie schließlich. »Dieses Haus setzt dir schlimmer zu als mir. Laß uns ins Hotel zurück gehen.«
    Er nickte. »Ich brauche ein Glas Wasser«, sagte er. »Glaubst du, es gibt irgendwo kaltes Wasser hier im Haus? Ich bin ganz ausgetrocknet, und mir ist heiß.«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich weiß nicht mal, ob es hier eine Küche gibt. Vielleicht gibt’s nur einen Brunnen mit einem moosbewachsenen Eimer. Vielleicht auch eine magische Quelle.«
    Er lachte leise. »Komm, laß uns Wasser suchen.«
    Sie stand auf und folgte ihm durch die hintere Eßzimmertür hinaus. Eine Art Teeküche war hier, mit einem kleinen Spülbecken und hohen Glasschränken voller Porzellan. Er nahm sich Zeit beim Hindurch gehen. Es war, als messe er die Dicke der Mauern mit seinen Händen. »Hier hinten«, sagte er, ging durch die nächste Tür und drückte auf einen alten schwarzen Wandschalter. Eine trübe Deckenbirne leuchtete auf, matt und kläglich, und erhellte einen langen Raum mit zwei Ebenen; auf der oberen Ebene befand sich eine sterile Arbeitsküche, auf der unteren, zwei Stufen tiefer, ein kleines Frühstückszimmer mit einem Kamin.
    Die Räume an sich waren sehr sauber und auf eine altmodische Weise sehr rationell und praktisch eingerichtet.
    Der eingebaute Kühlschrank bedeckte die halbe innere Wand; er hatte eine große, schwere Tür, wie man sie bei begehbaren Kühlkammern in Restaurantküchen findet.
    »Sag’s mir nicht, wenn da eine Leiche drin sein sollte. Ich will’s nicht wissen«, sagte sie müde.
    »Nein.« Er grinste. »Nur Lebensmittel und Eiswasser.« Er nahm die klare Glasflasche heraus. »Laß dir etwas über den Süden sagen: Es gibt immer eine Flasche Eiswasser.« Er suchte in einem der Schränke über der Spüle in der Ecke herum, nahm mit der Rechten zwei Geleegläser heraus und stellte sie auf die makellose Arbeitsplatte.
    Das kalte Wasser schmeckte wunderbar. Dann fiel ihr die alte Frau ein. Es war in Wirklichkeit ihr Haus, vielleicht ihr Glas. Ein Glas, aus dem sie getrunken hatte. Ekel überkam sie, und sie stellte das Glas in die kleine Edelstahlspüle.
    Ja, wie in einem Restaurant, dachte sie. Vor langer, langer Zeit war das Haus hier so vorzüglich ausgerüstet worden; irgend jemand hatte damals die Viktorianischen Installationen herausgerissen, die man heutzutage in San Francisco so sehr liebte. Und all diesen blinkenden Edelstahl eingebaut.
    »Was werden wir tun, Michael?« fragte sie.
    Er starrte auf das Glas in seiner Hand. Dann sah er sie an, und die

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