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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wandte sich ab und starrte das Photo an. Wie hundert andere Rembrandt-Figuren schien auch seine dunkelhaarige Deborah seinen Blick zu erwidern.
    Er erschrak, als Rowan leise lachte. »Weißt du, du bist niedlich, wenn du wütend bist. Aber es gibt wahrscheinlich eine völlig harmlose Erklärung dafür, wie die Blume hierher gekommen ist.«
    »Ja, das sagen sie im Kino auch immer«, erwiderte er. »Und das Publikum weiß, daß es nicht stimmt.«
    Er trug die Lilie ins Badezimmer und warf sie in den Abfalleimer. Sie verwelkte wirklich schon. Keine Verschwendung also, wo immer sie herkommen mag, dachte er.
    Sie wartete auf ihn, als er herauskam, die Arme verschränkt, mit sehr heiterem und sehr einladendem Blick. Er vergaß seine Bücher im Wohnzimmer.
     
    Am nächsten Abend ging er allein hinüber zur First Street. Rowan war mit Cecilia und Clancy Mayfair unterwegs; sie machten eine Runde durch die schicken Einkaufspassagen der City.
    Das Haus war still und leer, als er dort ankam. Sogar Eugenia war haute abend mit ihren beiden Söhnen und deren Kindern ausgegangen. Er hatte das ganze Haus für sich.
    Er ging in den Salon und starrte lange auf sein schattendunkles Bild im Spiegel über dem ersten Kamin. Der rote Lichtpunkt seiner Zigarette, die wie ein Glühwürmchen im Finstern glomm, war der einzige Farbtupfer in der Düsternis.
    Ein solches Haus ist nie ganz still, dachte er. Auch jetzt hörte er die leise Musik des Knarrens und Ächzens in den Balken und alten Fußbodendielen. Man hätte schwören können, daß dort oben jemand herumging, wenn man es nicht besser gewußt hätte. Oder daß ganz hinten in der Küche eben jemand eine Tür zugemacht hatte. Und dieses komische Geräusch – es klang wie ein weinendes Baby, weit, weit weg.
    Langsam ging er durch das Eßzimmer zurück, durch die halbdunkle Küche und durch die Verandatür nach draußen. Weiches Licht durchflutete den Abend; es kam von den Laternen an der frisch renovierten Badehütte und von den Unterwasserstrahlern im Pool.
    Der Pool war vollständig wieder hergestellt und randvoll mit Wasser. Sehr glamourös sah es aus, dieses langgestreckte Rechteck von tiefblauem Wasser, das sich dort in der Dämmerung blinkend kräuselte.
    Er ging in die Knie und steckte die Hand ins Wasser. Eigentlich ein bißchen zu warm für das Wetter Anfang September; wenn man es sich recht überlegte, war es ja nicht kühler als im August. Aber es war gut, wenn man im Dunkeln schwimmen wollte.
    Er hatte eine Idee. Warum nicht jetzt mal in den Pool steigen? Irgend wie kam es ihm unrecht vor, ohne Rowan – der erste Sprung ins Wasser war einer jener Augenblicke, die sie gemeinsam erleben sollten. Aber zum Teufel damit – Rowan amüsierte sich sicher prächtig mit Cecilia und Clancy. Und das Wasser war so verlockend. Seit Jahren hatte er in keinem Pool mehr geschwommen.
    Er schaute hoch zu den wenigen erleuchteten Fenstern in der dunkel violetten Wand des Hauses. Es war niemand da, der ihn hätte sehen können. Rasch schälte er sich aus Jackett, Hemd und Hose und streifte Schuhe und Socken ab. Dann die Shorts. Er ging ans tiefe Ende und sprang ohne einen weiteren Gedanken kopfüber hinein.
    Gott! das nannte man Leben! Er tauchte hinunter, bis er mit den Händen den tiefblauen Grund berührte, und drehte sich dann um, so daß er das Licht an der Oberfläche glitzern sah.
    Er schoß nach oben, ließ sich vom natürlichen Auftrieb über den Wasserspiegel tragen, schüttelte den Kopf und schaute wassertretend hinauf zu den Sternen. Lärm hallte ringsumher! Gelächter, Geplauder, Leute, die in lautem, lebhaftem Ton miteinander redeten – und über allem das temporeiche Trompeten einer Dixieland-Band.
    Erstaunt drehte er sich um und sah, daß Lampions wie Perlen an Schnüren über dem Rasen hingen, und es wimmelte von Menschen. Überall tanzten junge Paare auf den Steinplatten und sogar auf dem Rasen. Jedes Fenster im Haus war erleuchtet. Ein junger Mann im schwarzen Smoking sprang plötzlich dicht vor ihm in den Pool, und das heftig aufspritzende Wasser nahm ihm die Sicht.
    Das Wasser füllte plötzlich seinen Mund. Der Lärm wurde ohrenbetäubend. Am hinteren Ende des Pools stand ein alter Mann im Frack und mit weißer Krawatte, der ihm zuwinkte.
    »Michael!« schrie der alte Mann. »Kommen Sie hier weg, Mann, bevor es zu spät ist!«
    Ein britischer Akzent: Es war Arthur Langtry. Mit schnellen Schwimmbewegungen strebte Michael dem hinteren Ende des Bassins zu, aber schon nach

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