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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Stimme dann wohl sagen? Zum erstenmal merkte er, daß er darauf brannte, sein Talent zu benutzen. Vielleicht, weil das kleine Experiment mit Beatrice so gut geklappt hatte.
    Er mochte Beatrice. Vielleicht hatte er nur gesehen, was er sehen wollte. Einen normalen Menschen, einen Teil jener großen Woge der Wirklichkeit, die ihm und Rowan so viel bedeutete.
    Und schon bald wäre er verheiratet – »o Gott, ich muß Tante Viv anrufen. Sie wird so enttäuscht sein, wenn ich sie nicht anrufe.«
    Er legte das Photo auf Rowans Nachttisch, damit sie es sich ansehen könnte.
    Eine hübsche Blume lag dort, eine weiße Blume, die aussah wie eine gewöhnliche Lilie, aber doch irgend wie anders. Er nahm sie in die Hand, betrachtete sie, versuchte heraus zu finden, warum sie so merkwürdig aussah, und erkannte dann, daß sie sehr viel länger war als alle Lilien, die er je gesehen hatte, und daß die Blüte ungewöhnlich zart erschien.
    Hübsch. Rowan mußte sie gepflückt haben, als sie vom Haus herüberspaziert war.
    Er ging ins Bad, füllte ein Glas mit Wasser, stellte die Lilie hinein und trug sie zurück zum Nachttisch.
     
    Daß er Ryans Hand hatte berühren wollen, fiel ihm erst wieder ein, als das Dinner längst vorbei war und er wieder allein oben bei seinen Büchern saß. Beim Essen hatte er sich zu gut unterhalten; der junge Pierce hatte sie mit alten Legenden aus New Orleans – Geschichten, an die er sich erinnerte, aber die Rowan noch nie gehört hatte – und mit lustigen Anekdoten über diverse Verwandte entzückt, alles auf eine natürliche und bezaubernde Art locker miteinander verbunden.
    Und natürlich war das ganze Dinner für ihn auch einer von jenen Augenblicken heimlicher Genugtuung gewesen – wenn er an seine Kindheit dachte und an Tante Viv, die aus San Francisco hergekommen war, um seine Mutter zu besuchen, und er zum allerersten Mal in einem richtigen Restaurant gegessen hatte: im »Caribbean Room«.
    Und wenn er daran dachte, daß Tante Viv noch vor dem nächsten Wochenende hier sein würde… Sie war verblüfft gewesen, aber sie kam. Ihm war ein Stein vom Herzen gefallen.
    Gegen Mitternacht klappte er seine Architekturbücher zu und ging ins Schlafzimmer. Rowan wollte eben das Licht löschen.
    »Rowan«, sagte er, »wenn du dieses Ding sehen würdest, dann würdest du es mir sagen, oder?«
    »Wovon redest du, Michael?«
    »Wenn du Lasher sehen würdest, dann würdest du es mir sagen. Sofort.«
    »Selbstverständlich«, sagte sie. »Wie kommst du auf diese Frage? Leg doch deine Bildbände weg und komm ins Bett.«
    Er sah, daß Deborahs Bild hinter der Lampe aufrecht stand. Und die hübsche weiße Lilie stand im Wasserglas davor.
    »Sie war hübsch, nicht wahr?« sagte Rowan. »Vermutlich wird nichts auf der Welt die Talamasca dazu bewegen können, sich von dem Original zu trennen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Aber wahrscheinlich nicht. Weißt du, die Blume da ist wirklich bemerkenswert. Als ich sie heute nachmittag ins Glas stellte, hätte ich schwören können, daß sie nur eine Blüte hatte, und jetzt sind es drei große, schau. Ich muß die Knospen übersehen haben.«
    Sie machte ein verwirrtes Gesicht, und vorsichtig hob sie die Blume aus dem Wasser und betrachtete sie. »Was für eine Sorte Lilie ist das?« fragte sie.
    »Nun, es muß eine Art Osterlilie sein; aber die blühen nicht um diese Jahreszeit. Ich weiß nicht, wie sie heißt. Woher hast du sie?«
    »Ich? Ich sehe sie jetzt zum erstenmal.«
    »Ich dachte, du hättest sie irgendwo gepflückt.«
    »Nein.«
    Ihre Blicke trafen sich. Sie schlug zuerst die Augen nieder, hob langsam die Brauen und legte dann den Kopf ein wenig schräg. »Vielleicht ein kleines Geschenk von jemandem.«
    »Warum werfe ich sie nicht einfach weg?« fragte er.
    »Reg dich nicht auf, Michael. Es ist nur eine Blume. Er steckt voller kleiner Tricks, weißt du noch?«
    »Ich rege mich nicht auf, Rowan. Es ist bloß – sie verwelkt ja schon. Schau sie dir an; sie wird braun, und sie sieht unheimlich aus.«
    »Also gut«, sagte sie sehr ruhig. »Wirf sie weg.« Sie lächelte. »Aber mach dir keine Sorgen.«
    »Selbstverständlich nicht. Was für einen Grund gäbe es auch? Nur einen dreihundert Jahre alten Dämon mit einem eigensinnigen Kopf, der Blumen durch die Luft fliegen lassen kann. Warum soll ich nicht überglücklich sein, wenn eine merkwürdige Lilie aus dem Nichts erscheint? Verdammt, vielleicht hat er’s ja für Deborah getan. Wie nett von ihm!«
    Er

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