Hexenstunde
und Aktenschränken für Baupläne und Regalen für seine vielen Bücher.
Mitten auf dem chinesischen Teppich blieb sie stehen, dem Kamin zugewandt. Sie hatte den Kopf gesenkt, legte die Hände zusammen und drückte die Finger an die Lippen. Worauf wartete sie? Warum sagte sie es nicht: Lasher. Langsam hob sie den Kopf und schaute in den Spiegel über dem Kaminsims.
Hinter ihr, in der Tür, die geformt war wie ein Schlüsselloch, stand er und schaute sie an, und das Licht von der Straße, das zu beiden Seiten der Haustür hereinfiel, genügte, ihn sichtbar zu machen.
Ihr Herz klopfte, aber sie rührte sich nicht und drehte sich auch nicht um. Sie starrte ihn im Spiegel an – berechnete, vermaß, definierte ihn – versuchte, mit all ihren Kräften, menschlichen wie übermenschlichen, zu erfassen, woraus dieses Geschöpf bestand, woraus sein Körper war.
»Sieh mich an, Rowan.« Eine Stimme wie ein Kuß in der Dunkelheit. Kein Befehl, kein Flehen. Etwas Intimes, wie die Bitte eines Liebenden, dem es das Herz brechen wird, wenn sie ihm abgeschlagen wird.
Sie drehte sich um. Er stand am Türrahmen, mit verschränkten Armen. Er trug einen altmodischen dunklen Anzug, ganz wie die, die Julien auf den Porträts aus den neunziger Jahren angehabt hatte, mit hohem weißen Hemdkragen und Seidenkrawatte. Ein wunderschöner Anblick. Und einen so reizvollen Kontrast boten seine starken Hände, ganz wie Michaels, und die kraftvollen Gesichtszüge. Das Haar war blond gesträhnt, die Haut etwas dunkler. Sie mußte an Chase denken, den Polizisten und früheren Liebhaber, wenn sie ihn anschaute.
»Verändere, was du willst«, sagte er sanft.
Und ehe sie antworten konnte, sah sie, wie die Gestalt sich wandelte; es war wie ein lautloses Kochen in der Dunkelheit, als das Haar noch heller wurde, blonder noch, und die Haut jene bronzene Farbe annahm, die Chases Haut gehabt hatte. Sie sah, wie die Augen heller wurden. Einen Moment lang war es Chase, vollkommen realisiert, doch dann durchströmte es ein weiterer Strang menschlicher Eigenschaften, und es wandelte sich wieder, bis es derselbe Mann war, der ihr in der Küche erschienen war – womöglich derselbe Mann, der ihnen allen im Laufe der Jahrhunderte erschienen war -, nur, daß er immer noch Chase’s dramatische Sonnenbräune hatte.
Sie merkte, daß er näher gekommen war. Sie stand nur wenige Schritte weit von ihm entfernt. Was sie fühlte, war nicht so sehr Angst als vielmehr machtvolle Erregung. Ihr Herz pochte immer noch, aber sie zitterte nicht mehr. Sie streckte die Hand aus wie in jener Nacht in der Küche und berührte sein Gesicht.
Bartstoppeln, Haut – aber das war keine Haut. Ihr scharfer diagnostischer Sinn sagte ihr, daß es keine war und daß auch keine Knochen in diesem Körper waren, keine inneren Organe. Dies war eine Hülle für ein Energiefeld.
»Aber beizeiten werden da auch Knochen sein, Rowan, beizeiten. Alle Wunder können vollbracht werden.«
Die Lippen hatten sich bei diesen Worten kaum bewegt; das Wesen verlor bereits seine Form. Es hatte sich erschöpft.
Sie schaute angestrengt hin und bemühte sich, es zu halten, und sie sah, wie es wieder fester wurde.
»Hilf mir lächeln, meine Schöne«, sagte die Stimme, diesmal ganz ohne irgendwelche Lippenbewegungen. »Ich würde dich und deine Macht lächelnd ansehen, wenn ich könnte.«
Jetzt zitterte sie doch. Mit jeder Faser ihres Körpers konzentrierte sie sich darauf, die Gesichtszüge mit Leben zu erfüllen. Fast fühlte sie, wie ihr die Energie entströmte und diese seltsame stoffliche Substanz sammelte und formte, reiner und feiner als ihre Vorstellung von Elektrizität. Und eine große Wärme umhüllte sie, als sie sah, wie die Lippen zu lächeln begannen.
Heiter und feinsinnig, wie Juliens Lächeln auf den Photographien. Die großen grünen Augen füllten sich mit Licht. Die Hände hoben sich und streckten sich nach ihr aus, und sie empfand eine köstliche Wärme, als sie näherkamen und fast ihre Wangen berührten. Dann begann das Bild zu flimmern und löste sich jäh auf, und der Hitzeschwall war so mächtig, daß sie zurückwich und mit erhobenem Arm ihre Augen bedeckte, als sie sich abwandte.
Und plötzlich war ihr am ganzen Leibe kalt. Sie fühlte sich erschöpft. Und als sie auf ihre Hand blickte, sah sie, daß sie immer noch zitterte. Sie ging hinüber zum Kamin und sank auf die Knie.
Sie legte ein paar Späne auf den kleinen Rost, darauf ein paar Holzstücke und ein großes
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