Hexenstunde
schautest, konntest du da klar sehen?«
»Besser. Aber der Tod war an mir, er hing an mir, rings herum, und er schritt schnell voran. Schließlich wurde ich dort drinnen blind.«
»Das kann ich mir vorstellen. Du warst aber auch in Charlottes Schwiegervater, als er noch lebte.«
»Ja. Er wußte, daß ich da war. Er war schwach, aber er war froh, wieder gehen und mit seinen Händen Dinge aufheben zu können.«
»Interessant. Wir nennen das Besessenheit.«
»Richtig. Ich sah die Dinge deutlich durch seine Augen. Ich konnte bunte Farben sehen und Blumen riechen und Vögel hören. Ich habe Charlotte mit einer Hand berührt. Ich habe Charlotte gekannt.«
»Kannst du jetzt nicht hören? Kannst du das Licht des Feuers nicht sehen?«
»Ich weiß alles darüber. Aber ich sehe oder höre oder fühle nicht wie du, Rowan. Obgleich ich, wenn ich ganz in deine Nähe komme, sehen kann, was du siehst, und ich kenne dich und deine Gedanken.«
Angst durchfuhr sie wie ein scharfer Stich. »Ich sehe, worauf es hinausläuft.«
»Das glaubst du. Aber es ist größer und reicht weiter.«
»Ich weiß.«
»Wir wissen es. Wir sind. Aber von euch haben wir gelernt, in einer Linie zu denken, und wir haben die Zeit erlernt. Wir haben auch Ehrgeiz erlernt. Um Ehrgeiz zu kennen, muß man Konzepte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennen. Man muß planen. Und ich spreche nur von denen unter uns, die wollen. Diejenigen unter uns, die nicht wollen, lernen auch nicht, denn weshalb sollten sie? ›Wir‹ zu sagen, ist allerdings nur eine Annäherung. Es gibt kein ›wir‹ für mich, denn ich bin allein, ich habe mich von den anderen meiner selbst abgewandt und sehe nur dich und deinesgleichen.«
»Ich verstehe. Als du in den Leichen warst… in den Köpfen oben auf dem Dachboden…«
»Ja.«
»Hast du das Zellgewebe dieser Köpfe verändert?«
»Ja. Ich habe die Augen braun werden lassen. Ich habe Haarsträhnen verändert. Es hat mich große Konzentration gekostet. Konzentration ist der Schlüssel zu allem, was ich tue. Ich ziehe zusammen.«
»Und in deinem natürlichen Zustand?«
»Bin ich groß, grenzenlos.«
»Wie hast du das Pigment verändert?«
»Bin in die Partikel des Fleisches gegangen, habe die Partikel verändert. Aber du verstehst davon mehr als ich. Du würdest das Wort Mutation verwenden.«
»Was hat dich gehindert, den ganzen Organismus zu übernehmen?«
»Er war tot. Er ging nach und nach zu Ende, er wurde schwer, und ich war blind und taub. Ich konnte den Funken des Lebens nicht zurück holen.«
»Aha. Und bei Charlottes Schwiegervater, hast du da den Körper verändert?«
»Das konnte ich nicht. Ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte. Und ich kann es auch jetzt nicht, wenn ich damals dort wäre. Verstehst du?«
»Ja, ich verstehe. Du bist konstant, aber wir sind in der Zeit. Aber du sagst, du kannst kein lebendes Gewebe verändern?«
»Nicht bei diesem Mann. Und nicht bei Aaron, wenn ich in ihm bin.«
»Wann bist du in Aaron?«
»Wenn er schläft. Nur dann kann ich hinein.«
»Warum tust du das?«
»Um ein Mensch zu sein. Um zu leben. Aber Aaron ist zu stark für mich; Aaron befehligt und organisiert das Gewebe Aarons. Genauso ist es bei Michael. Bei fast allen. Sogar bei den Blumen.«
»Ich will nicht, daß du je wieder in Aaron fährst. Ich will nicht, daß du ihm oder Michael jemals etwas antust.«
»Ich werde dir gehorchen, aber ich würde Aaron gern töten.«
»Warum?«
»Weil Aaron fertig ist, und Aaron besitzt großes Wissen, und Aaron belügt dich.«
»Inwiefern fertig?«
»Ich habe gesehen, was er tun würde, und ich wollte, daß er es tat, und nun hat er es getan. Deshalb sage ich: fertig. Nun kann ich sehen, was er tun wird, und ich will nicht, daß er es tut, denn es geht meinem Ehrgeiz zuwider. Ich würde ihn töten, wenn es dich nicht verbittert und haßerfüllt gegen mich machen würde.«
»Du kannst meinen Zorn fühlen, nicht wahr?«
»Er schmerzt mich tief, Rowan.«
»Ich wäre rasend vor Schmerz und Wut, wenn du Aaron etwas antätest. Aber laß uns weiter über ihn sprechen. Ich möchte, daß du es mir genau auseinander setzt. Was hat Aaron getan, das du wolltest?«
»Hat dir sein Wissen gegeben. Seine Worte, geschrieben in einer geraden Linie der Zeit.«
»Du meinst die Mayfair-Chronologie.«
»Ich wollte, daß du seine Geschichte liest. Petyr hat gesehen, wie meine Deborah brannte. Meine geliebte Deborah. Aaron hat gesehen, wie meine Deirdre weinte im Garten,
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