Hexenstunde
Michael Curry. Und was könnten sie tun? Es ist vorüber, Aaron. Vielleicht kämpfe ich noch, vielleicht tanze ich ein paar Schritte zurück oder gewinne einen vorüber gehenden Vorteil. Aber es ist vorüber. Michael sollte mich herbringen und dafür sorgen, daß ich hier bleibe, und das hat er getan.«
Sie wollte aufstehen, aber er griff nach ihrer Hand.
»Und Ihr Kind, Rowan?«
»Michael hat es Ihnen erzählt?«
»Das brauchte er nicht. Michael wurde ausgesandt, Sie zu lieben, damit Sie dieses Ding vertreiben, ein für allemal. Damit Sie diese Schlacht nicht allein schlagen müssen.«
»Auch das wußten Sie, ohne daß man es Ihnen gesagt hat?«
»Ja. Und Sie wissen es auch.«
Sie zog ihre Hand aus seiner.
»Gehen Sie fort, Aaron. Gehen Sie weit weg. Verstecken Sie sich in Ihrem Mutterhaus in Amsterdam oder in London. Verstecken Sie sich. Sie werden sterben, wenn Sie es nicht tun. Und wenn Sie Michael anrufen, wenn Sie ihn zurückrufen – ich schwöre Ihnen, dann bringe ich Sie selbst um.«
44
Absolut alles war schiefgegangen. Das Dach in der Liberty Street war undicht gewesen, als er angekommen war, und in das Geschäft in der Castro Street war jemand eingebrochen, um die erbärmliche Handvoll Bargeld aus der Kasse zu stehlen. In seinem Haus in der Diamond Street hatten Vandalen gehaust; die Aufräumungsarbeiten hatten vier Tage gedauert, und erst dann hatte er es zum Verkauf ausschreiben können. Eine weitere Woche war nötig gewesen, um Tante Vivs Antiquitäten für den Transport vorzubereiten und all ihren Kleinkram so einzupacken, daß nichts kaputt gehen konnte. Dann hatte er sich für drei Tage mit seinem Buchhalter zusammen setzen müssen, um seine Steuerunterlagen zu ordnen. Jetzt war schon der 14. Dezember, und noch immer hatte er eine Menge nicht erledigt.
Die einzige gute Nachricht war, daß Tante Viv die ersten beiden Kisten unversehrt erhalten und gleich angerufen hatte, um ihm zu sagen, wie sehr sie sich freute, ihre geliebten Sachen endlich bei sich zu haben. Und jetzt, wo auch ihre Möbel unterwegs waren, konnte sie endlich all die reizenden Damen Mayfair zu sich einladen. Michael sei ein Schatz. Ein wahrer Schatz.
»Am Sonntag habe ich Rowan gesehen, Michael; sie ging spazieren, in dieser Eiseskälte. Aber weißt du, sie hat endlich angefangen, ein bißchen zuzunehmen. Ich wollte es ja nie sagen, aber sie war so dünn und so blaß. Es war wunderbar, sie mal mit roten Wangen zu sehen.«
Darüber hatte er lachen müssen, aber er vermißte Rowan unsäglich. Er hatte nie vorgehabt, so lange wegzu bleiben. Jedes Telephongespräch machte es nur noch schlimmer; die berühmte samtene Stimme brachte ihn fast um den Verstand.
Sie hatte Verständnis für alle die unvorhergesehenen Katastrophen, aber die Sorge, die sich hinter ihren Fragen verbarg, entging ihm nicht. Und nach den Telephonaten konnte er nicht schlafen; er rauchte eine Zigarette nach der anderen, trank zuviel Bier und lauschte dem endlosen Winterregen.
Aber jetzt war das alte Haus endlich fast leer. Nur noch zwei Kisten auf dem Speicher, und auf eine seltsame Weise waren diese kleinen Schätze das, was er eigentlich nach New Orleans hatte holen wollen. Und er brannte darauf, die Sachen zusammen zu packen.
Wie fremdartig das alles jetzt aussah. Die Zimmer waren kleiner, als er sie in Erinnerung hatte, und die Gehwege vor dem Haus waren so schmutzig. Das kleine Pfefferbäumchen, das er gepflanzt hatte, schien den Geist aufzugeben. Unmöglich, daß er hier so viele Jahre verbracht und sich eingeredet haben sollte, er sei glücklich.
Unmöglich auch, daß er sich hier noch eine elende Woche damit abrackern sollte, im Geschäft Kisten zu verschließen und zu etikettieren, Steuerbelege zu sortieren und diverse Formulare auszufüllen.
»Besser jetzt als später«, hatte Rowan am Nachmittag am Telephon gesagt. »Aber ich kann es kaum noch aushalten. Sag mir, hast du irgend etwas bereut? Ich meine, daß du San Francisco aufgegeben hast. Gibt es Augenblicke, wo du am liebsten wieder da weitermachen würdest, wo du aufgehört hast – als ob New Orleans nie existiert hätte?«
»Bist du verrückt geworden? Ich denke nur daran, zu dir zurück zu kommen. Vor Weihnachten verschwinde ich hier auf jeden Fall. Ist mir egal, was noch zu machen ist.«
»Ich liebe dich, Michael.« Sie konnte es tausendmal sagen, und es klang immer noch spontan. Es war eine Qual, sie nicht in den Arm nehmen zu können. Aber war da nicht ein dunkler
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