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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zu.«
    »Nein. Sie haben mir das Leben gerettet, wissen Sie das?«
    »Verdammt, ich hab’ Sie bloß zur Seite gezogen. Mehr war ja nicht. Hab’ nicht mal drüber nachgedacht.« Mit einer wegwerfenden Handbewegung ging er weiter; sein Blick verharrte noch einen Moment lang auf dem roten Wagen. Zwei Männer versuchten bereits, die Frau, die darin saß, zu befreien. Sie schrie. Die Menge wuchs, und eine Polizistin brüllte die Zuschauer an, sie sollten zurücktreten.
    »Hören Sie, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll!«, rief Michael, aber der Schwarze war schon ein ganzes Stück weit weg. Er ging mit großen Schritten die Castro Street hinauf und warf nur noch einen kurzen Blick zurück und winkte lässig mit der Hand.
    Michael blieb fröstelnd vor einer Bar stehen. Leute drängten sich an denen vorbei, die stehengeblieben waren, um zu gaffen. Dieser Druck, der seine Brust erfüllte, kein richtiger Schmerz, sondern eine Art Anspannung, und sein Puls hämmerte, und ein taubes Gefühl kroch in die Finger seiner linken Hand.
    Herrgott, was passierte hier eigentlich? Ihm durfte jetzt nicht übel werden; er mußte zurück zu seinem Hotel.
    Schwerfällig trat er auf die Straße hinaus, vorbei an der Polizistin, die ihn plötzlich fragte, ob er gesehen habe, wie der Wagen den Laternenpfahl gerammt habe. Nein, mußte er gestehen, das hatte er nun wirklich nicht gesehen. Da drüben, ein Taxi. Taxi!
    »Muß zum St. Francis. Union Square.«
    »Fehlt Ihnen was?«
    »Nein. Nicht viel.«
    Es war Julien gewesen, der mit ihm gesprochen hatte, kein Zweifel, Julien, den er durch das Busfenster gesehen hatte! Aber was war mit dem verdammten Wagen gewesen?
     
    Ryan hätte nicht entgegenkommender sein können. »Natürlich, wir hätten dir bei all dem schon viel früher helfen können, Michael! Dazu sind wir doch da. Ich lasse morgen jemanden Inventur machen und alles verpacken. Dann treibe ich einen qualifizierten Makler auf, und über den Verkaufspreis reden wir, wenn du hier bist.«
    »Ich belästige euch schrecklich ungern, aber ich kann Rowan nicht erreichen, und ich habe das Gefühl, ich sollte nach Hause fliegen.«
    »Unsinn – wir sind dazu da, solche Dinge für dich zu erledigen, große und kleine. Hast du denn schon einen Flug? Überlaß die Sache doch mir. Bleib, wo du bist, und warte auf meinen Anruf.«
    Dann lag er auf dem Bett, rauchte seine letzte Zigarette und starrte zur Decke.
    Das taube Gefühl in seiner linken Hand war vergangen, und er fühlte sich wieder wohl. Keine Übelkeit, kein Schwindel, und auch sonst nichts Bemerkenswertes, was ihn betraf. Aber das war ihm auch egal. Dieser Teil war nicht real.
    Real war Juliens Gesicht im Busfenster. Und dann dieses Fragment der Visionen, das von ihm Besitz ergriffen hatte, machtvoll wie eh und je.
    Aber war alles geplant gewesen, nur um ihn an diese gefährliche Straßenecke zu bringen? Um ihn zu blenden und ihn starr vor diesem schleudernden Wagen stehen zu lassen? So, wie er auch vor Rowans Boot getrieben worden war?
    Oh, er versank fast in diesem Erinnerungsfetzen. Er schloß die Augen und sah wieder ihre Gesichter – Deborah und Julien, und er hörte ihre Stimmen.
    … daß du die Macht hast, die einfache menschliche Macht…
    Das muß ich glauben. Denn wenn ich es nicht glaube, verliere ich den Verstand. »Fahren Sie nach Hause, Monsieur. Dort werden Sie gebraucht.«
    Mit geschlossenen Augen lag er da und döste, als das Telephon klingelte.
    »Michael?« Es war Ryan.
    »Ja.«
    »Hör zu, ich habe dir ein Privatflugzeug besorgt. Das ist viel einfacher. Ich schicke jemanden, der dich abholt. Wenn du Hilfe mit deinem Gepäck brauchst…«
    »Nein, sag mir bloß, wann. Ich bin dann fertig.« Wonach roch es hier? Hatte er seine Zigarette ausgedrückt?
    »Wie war’s in einer Stunde? Und, Michael, bitte – von jetzt an darfst du nicht mehr zögern, uns um irgend etwas zu bitten. Ganz gleich, was es ist.«
    »Ja, danke, Ryan, ja. Ich weiß das wirklich zu schätzen.« Er starrte auf das glimmende Loch in der Bettdecke, dorthin wo seine Zigarette hingefallen war, als er eingedöst war. Gott, zum erstenmal im Leben hatte er so etwas getan! Das Zimmer war schon voller Rauch. »Danke, Ryan. Vielen Dank für alles!«
    Er legte auf, ging ins Bad und füllte den leeren Eiskübel mit Wasser. Rasch kippte er alles übers Bett. Dann zog er die versengte Decke und das Laken ab und goß noch mehr Wasser über das dunkle, stinkende Loch in der Matratze. Sein Herz galoppierte

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