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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schritten nach hinten verhinderte er, daß er wieder hinfiel.
    »Oooooh…«, sang er. »Ich gehe, ja, ich gehe…«
    Sie lief zu ihm, legte einen Arm um ihn und ließ zu, daß er sich an ihr festklammerte. Er verstummte und schaute auf sie herunter, und dann hob er die Hand und streichelte ihre Wange; die Gebärde war unvollkommen koordiniert wie bei einem Betrunkenen, aber die Finger fühlten sich seidig und kribbelnd an.
    »Rowan«, stöhnte er laut, preßte sie an sich und stolperte dann wieder rückwärts, bis sie ihn festhielt und in die Arme nahm.
    »Komm, wir haben nicht viel Zeit«, sagte sie. »Wir müssen jetzt einen sicheren Ort finden, irgendeinen völlig unbekannten Ort…«
    »Ja, Liebling, ja… aber, weißt du, es ist alles so neu und so schön. Ich will dich noch einmal umarmen, dich küssen…«
    »Wir haben keine Zeit«, sagte sie, aber die seidigen Babylippen preßten sich auf ihre, und sie spürte den Druck seines Schwanzes an ihrem wunden Geschlecht. Sie entwand sich seinen Armen und zog ihn hinter sich her.
    »So ist’s richtig«, sagte sie und beobachtete seine Füße. »Nicht daran denken. Schau mich nur an und geh.«
    Als sie die Tür erreicht hatte, war sie sich einen Moment lang der Schlüssellochform bewußt; sie dachte an die alten Diskussionen über ihre Bedeutung, und all der Jammer und die Schönheit ihres Lebens zogen an ihrem geistigen Auge vorüber, all ihre Kämpfe und ihre alten Gelübde.
    Aber dies war tatsächlich eine neue Tür. Es war die Tür, die sie vor einer Million Jahren in ihrer Kindheit gesehen hatte, als sie zum erstenmal die magischen Bücher wissenschaftlicher Weisheit aufgeschlagen hatte. Und jetzt stand sie offen – jenseits allen Grauens in Lemles Labor und jenseits auch der Holländer, die in einem mythischen Leiden um einen Tisch versammelt standen.
    Langsam führte sie ihn durch diese Tür hindurch; und geduldig ging sie Schritt für Schritt an seiner Seite.

 
    52
     
     
    Er wollte aufwachen, aber immer wenn er an die Oberfläche drang, sank er wieder schwer und benommen hinab in die weichen Daunenkissen des Bettes. Verzweiflung packte ihn und verging wieder.
    Die Übelkeit war es, was ihn schließlich weckte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, wie er im Bad an die Tür gelehnt auf dem Boden kauerte und sich so heftig übergab, daß jedesmal, wenn er würgte, ein Schmerz sich um seine Rippen spannte. Dann war nichts mehr da, was er hätte hervorwürgen können, und die Übelkeit lastete ohne die Verheißung irgendeiner Erleichterung auf ihm.
    Der Raum schwankte. Schließlich brachen sie das Schloß an der Tür auf und hoben ihn hoch. Er wollte sich dafür entschuldigen, daß er sich eingeschlossen hatte, es sei ein Reflex gewesen und er habe auch versucht, den Knopf zu drehen, um die Tür wieder zu öffnen – aber er brachte kein Wort hervor.
    Mitternacht. Er sah das Zifferblatt der Uhr auf der Kommode. Mitternacht am Heiligen Abend. Er bemühte sich verzweifelt, zu sagen, daß dies eine Bedeutung habe, aber er konnte nichts tun als daran zu denken, wie dieses Ding hinter der Krippe in der Kirche gestanden hatte. Und dann versank er wieder, und sein Kopf fiel auf das Kissen.
    Als er die Augen das nächstemal aufschlug, sprach der Arzt wieder mit ihm, aber er konnte sich nicht erinnern, wann er den Arzt das letztemal gesehen hatte. »Mr. Curry, haben Sie eine Ahnung, was in der Spritze gewesen sein könnte?«
    Nein. Ich dachte, sie bringt mich um. Ich dachte, ich würde jetzt sterben. Aber bei dem bloßen Versuch, die Lippen zu bewegen, wurde ihm wieder übel. Er schüttelte den Kopf, und auch dabei wurde ihm schlecht. Durch den Frost an den Fensterscheiben sah er noch immer schwarze Nacht.
    »… mindestens noch acht Stunden«, sagte der Arzt. »Sonst alles normal. Klare Flüssigkeiten, wenn er irgend etwas trinken will. Und bei der kleinsten Veränderung…«
    Heimtückische Hexe. Alles zerstört. Der Mann lächelte ihn über die Krippe hinweg an. Natürlich war dies die Stunde gewesen. Der Augenblick. Er wußte, daß er sie für immer verloren hatte. Die Mitternachtsmette war vorüber. Seine Mutter weinte, weil sein Vater tot war. Nichts wird je wieder so sein wie früher.
    »Schlafen Sie jetzt. Wir sind hier bei Ihnen.«
    Ich habe versagt. Ich habe ihn nicht aufgehalten. Ich habe sie für immer verloren.
     
    »Wie lange bin ich schon hier?«
    »Seit gestern abend.«
    Weihnachtsmorgen. Er starrte aus dem Fenster und wagte nicht, sich zu bewegen, aus

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