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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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herunter. Er hatte die glatte, makellose Haut eines Babys – über der Form eines Männergesichtes, das Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Gesicht hatte. Noch nie hatte sie einen Menschen gesehen, der ihr so ähnlich war. Aber es gab auch Unterschiede. Seine Augen waren groß und blau und von schwarzen Wimpern umgeben, und sein Haar war schwarz wie Michaels. Es war Michaels Haar. Michaels Haar und Michaels Augen. Aber er war schlank wie sie. Seine glatte, unbehaarte Brust war so schmal, wie die ihre es in ihrer Kindheit gewesen war, und hatte zwei rosa schimmernde Brustwarzen. Seine Arme waren schlank, wenn gleich die Muskeln gut ausgeprägt waren. Und die zierlichen Finger seiner Hand, mit denen er jetzt nachdenklich über seine Lippen strich, während er sie betrachtete, waren ebenso schmal wie ihre.
    Aber er war größer als sie, so groß wie ein Mann. Und er war bedeckt von trockenem Schleim und Blut; es sah aus, als sei er in eine dunkle, rubinrote Landkarte gehüllt.
    Sie fühlte, wie ein Stöhnen aus ihrer Kehle heraufdrang und von innen gegen ihre Lippen drängte. Ihr ganzer Körper geriet dabei in Bewegung, und plötzlich schrie sie. Sie richtete sich auf und schrie. Lauter, länger, wilder, als sie in der vergangenen Nacht in all ihrer Angst geschrien hatte.
    Er beugte sich über sie. »Tu das nicht«, flüsterte er. Die alte Stimme. Natürlich, seine Stimme mit ihrem unverwechselbaren Klang.
    Sein glattes Gesicht sah völlig unschuldig aus – das Inbild der Verwunderung mit den makellosen, leuchtenden Wangen, der glatten, schmalen Nase und den großen blauen Augen, die sie mit flatternden Wimpern anschauten. Auf und zu klappten die Augen, ganz wie die Augen des Männchens auf dem Tisch in ihren Träumen. Er lächelte. »Ich brauche dich«, sagte er. »Ich liebe dich. Und ich bin dein Kind.«
    Sie setzte sich auf. Ihr Nachthemd war von Blut durchtränkt; es war inzwischen getrocknet und steif. Der Geruch von Blut war überall; es roch wie in der Notaufnahme.
    Sie kroch rückwärts über den Teppich und blieb dann vorn über gebeugt und mit hochgezogenen Knien sitzen und spähte zu ihm hinüber.
    Die Brustwarzen – perfekt. Der Penis auch, obwohl er seine eigentliche Prüfung erst bestehen mußte, wenn er hart wäre. Die Haare – perfekt. Aber wie sah es innen aus? Wie stand es mit jedem einzelnen kleinen, miteinander in Verbindung stehenden Teil?
    Sie näherte sich ihm, legte ihm die Hand auf die Brust und lauschte. Ein starker, gleichmäßiger Rhythmus ging von ihm aus.
    Er machte keine Anstalten, sie zu hindern, als sie beide Hände an seinen Schädel legte. Weich wie ein Säuglingsschädel, der von Schlägen genesen konnte, die einen Fünfundzwanzigjährigen töten würden. Gut, aber wie lange würde es so bleiben?
    Sie legte einen Finger an seine Unterlippe, öffnete seinen Mund und starrte auf seine Zunge. Dann zog sie sich zurück und ließ die Hände matt auf die gekreuzten Beine sinken.
    »Hast du Schmerzen?« fragte er sie. Seine Stimme klang sehr zärtlich. Seine Augen wurden schmal, und für eine Sekunde trat ein halbwegs reifer Ausdruck in sein Gesicht; dann aber kehrte das babyhafte Staunen zurück. »Du hast so viel Blut verloren.«
    Eine ganze Weile starrte sie ihn schweigend an.
    Er wartete ab und beobachtete sie.
    »Nein, ich habe keine Schmerzen«, murmelte sie, und wieder starrte sie ihn geraume Zeit an. »Ich brauche Sachen«, sagte sie schließlich. »Ich brauche ein Mikroskop. Ich muß Blutproben machen. Ich muß sehen, wie das Gewebe jetzt wirklich aussieht! Gott, ich brauche all diese Sachen! Ich brauche ein vollständig eingerichtetes Labor. Und wir müssen von hier verschwinden.«
    »Ja«, sagte er. »Das sollten wir als allernächstes tun.«
    »Kannst du stehen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Na, du wirst es versuchen.« Sie erhob sich auf die Knie, faßte die Kante der marmornen Kaminumrandung und zog sich auf die Füße.
    Dann nahm sie seine Hand. Schön fest, sein Griff. »Komm, steh auf, denke nicht darüber nach, tu’s einfach, verlaß dich darauf, daß dein Körper etwas kann, die Muskulatur ist vorhanden, das ist der entscheidende Unterschied zwischen dir und einem Neugeborenen, du hast Skelett und Muskulatur eines Mannes.«
    »Also gut, ich will es versuchen.« Er sah ängstlich und zugleich seltsam entzückt aus. Erschauernd kam er zunächst auf die Knie, wie sie es getan hatte, und dann rappelte er sich auf, aber gleich taumelte er rückwärts, und nur mit mehreren hastigen

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