Hexenstunde
da hast du gewußt, was du mit deiner Brillanz und deinem Mut hättest zuwege bringen können – selbst ohne mich, ohne zu wissen, daß ich auf dich wartete, daß ich dich liebte, daß ich dir das größte Geschenk von allen zu machen hatte. Mich selbst, Rowan. Du wirst mir helfen, oder dieses winzige Kind, das da vor sich hinkocht, wird sterben, wenn ich hineinfahre! Aber das wirst du nie zulassen.«
»Gott. Gott, hilf mir!« wisperte sie, und ihre Hände schoben sich über ihren Leib, überkreuzten ihn, wie um einen Schlag abzuwehren. Sie starrte ihn unverwandt an. Stirb, du Drecksding, stirb!
Die Zeiger der Uhr rückten mit leisem Klicken vor, und der kleine stand jetzt in einer senkrechten Linie mit dem großen. Der erste Glockenschlag der Mitternachtsstunde ertönte.
»Christ ist geboren, Rowan!«, rief er mit machtvoller Stimme, während das Bild des Mannes sich in einer großen, brodelnden Wolke von Dunkelheit auflöste, die Uhr verfinsterte, zur Decke emporstieg und sich trichterartig in sich selbst kehrte. Sie kreischte und taumelte rückwärts gegen die Wand.
»Nein, Gott, nein!« kreischte sie in nackter Panik, und sie drehte sich um, rannte zur Tür hinaus in die Diele und streckte die Hand nach dem Knauf der Haustür aus. »Gott, hilf mir! Michael, Aaron!«
Aber das Rumoren wurde immer lauter. Sie fühlte seine unsichtbaren Hände an ihren Schultern. Sie wurde vorwärts geschleudert und flog hart gegen die Tür. Ihre Hand rutschte vom Türknopf, als sie auf die Knie fiel, und ein Schmerz zuckte durch ihre Schenkel herauf. Dunkelheit stieg ringsumher auf, und Hitze.
»Nein, nicht mein Kind, ich werde dich vernichten, noch mit meinem letzten Atemzug, ich werde dich vernichten.« Mit letzter, verzweifelter Wut warf sie sich herum, starrte in die Dunkelheit, spuckte haßerfüllt auf das Wesen, richtete ihren ganzen Willen auf seinen Tod, noch als es sie mit seinen Armen umschlang und zu Boden zerrte.
Ihr Hinterkopf schrammte über das Holz der Tür und schlug dann hart auf die Bodendielen, als die Beine unter ihr weggerissen wurden. Sie blickte in die Höhe, versuchte aufzustehen, schlug mit beiden Armen um sich, und die Dunkelheit über ihr kochte und waberte. »Verdammt sollst du sein, verdammt in der Hölle, Lasher, stirb! Stirb wie die alte Frau! Stirb!« kreischte sie.
»Ja, Rowan, dein Kind, und Michaels Kind!«
Die Stimme umgab sie wie die Dunkelheit und die Hitze. Wieder wurde ihr Kopf nach hinten gedrückt, auf den Boden geschlagen, wurden ihre Arme auf die Dielen gepreßt, ausgebreitet, hilflos.
»Du meine Mutter und Michael mein Vater! Dies ist die Stunde der Hexen, Rowan. Die Uhr schlägt. Ich werde Fleisch sein. Ich werde geboren werden.«
Die Dunkelheit sammelte sich, rollte sich zusammen und schoß herab, schoß in sie hinein, vergewaltigte sie, spaltete sie entzwei. Wie eine Riesenfaust schoß sie in ihren Schoß hinauf, und ihr Körper krümmte sich krampfhaft, als der Schmerz sie umschlang wie ein mächtiger Peitschenriemen, den sie durch die geschlossenen Augen sehen konnte, weil er so grell brannte.
Die Hitze war unerträglich. Der Schmerz kam noch einmal, Schockwelle um Schockwelle, und sie fühlte, wie das Blut aus ihr hervorstürzte, wie das Wasser aus ihrem Schoß auf dem Boden sprudelte.
»Du hast es getötet, du verfluchtes, bösartiges Ding, du hast mein Baby getötet, verflucht seist du! Gott, hilf mir! Gott, wirf ihn zurück in die Hölle!« Ihre Hände schlugen gegen die Wand, stemmten sich gegen den schleimig nassen Boden. Ihr war schlecht von der Hitze, die in ihrer Lunge brannte, als sie nach Luft schnappte.
Das Haus stand in Flammen. Es mußte so sein. Sie stand in Flammen. Hitze pochte in ihr, und sie glaubte es lodern zu sehen, aber es war nur ein großer, grausiger Schwall von rotem Licht. Irgend wie war es ihr gelungen, sich auf Händen und Füßen aufzurichten, und sie wußte, ihr Körper war leer, das Kind war weg, und sie wollte nur noch fliehen. Noch einmal streckte sie verzweifelt und in wütendem, unerbittlichem Schmerz die Hand nach dem Türknopf aus.
»Michael, Michael, hilf mir! O Gott, ich habe versucht, ihn zu täuschen, ich habe versucht, ihn zu töten. Michael, er ist in dem Kind!« Wieder durchfuhr sie der Schmerz wie ein Schock, und ein frischer Blutschwall gurgelte aus ihr hervor.
Schluchzend sank sie zu Boden; in ihrem Kopf drehte sich alles, und Arme und Beine gehorchten ihr nicht. Die Hitze versengte sie, und ein lautes, wundes Weinen
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