Hexentage
Ort. Die Luft war kühl, der Staub kitzelte in seiner Nase, und die Laterne zog allerlei flatterndes Insektengetier an. So und nicht anders stellte |145| Jakob sich die Umgebung vor, in der Gespenster ihr Unwesen trieben. Schon der Gedanke an eine Begegnung mit dem ruhelosen Geist eines Toten jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken.
»Zieht nicht so ein Gesicht, als hätte der Geist Eurer Großmutter Euch heimgesucht. Kommt näher, ich möchte Euch etwas zeigen.« Sara winkte ihn zu sich heran.
Jakob folgte Sara bis zur hinteren, mit Brettern zugestellten Giebelwand. Sie bat ihn, das Holz fortzuräumen, und als er es zur Seite gestellt hatte, kam dahinter eine kunstvoll geschnitzte Truhe zum Vorschein.
Sara drückte ihm einen Schlüssel in die Hand.
»Öffnet sie.«
Stirnrunzelnd führte Jakob den Schlüssel in das Schloß und drehte ihn, bis der Verschluß aufsprang. Er klappte den schweren Deckel hoch und hielt die Laterne über die Truhe, in der sich einige kleinere Schatullen aus Holz oder Metall, sowie mehrere Lederbeutel befanden. Er griff nach einem davon, und das Klimpern von Münzen war zu hören.
»Was ist das?«
»Das«, erklärte Sara ihm, »ist eine Sicherheit, die mein Vater hier verborgen hält. Seit die schwedische Besatzung ihre Kontributionen immer häufiger durch Gewalt unter den Bürgern einzutreiben sucht und selbst der Rat die privaten Gelder nicht mehr für unantastbar ansieht, hielt mein Vater es für ratsam, die Früchte seiner Arbeit vor allzu neugierigen Augen zu verstecken. Was Ihr hier seht, ist sicherlich kein Vermögen, aber doch eine stattliche Summe persischer Golddenare. Außerdem befinden sich in dieser Truhe noch zahlreiche Edelsteine und wertvolle Mineralien. Die Geschäfte meines Vaters sind während unserer Zeit in Persien sehr erfolgreich verlaufen, und hier seht Ihr den Lohn für seine Künste.«
»Warum zeigt Ihr mir das alles?«
»Mein Vater würde toben, wenn er wüßte, daß ich Euch seinen |146| kleinen Schatz vor Augen führe, aber ich vertraue Euch. Was Ihr für Anna getan habt, muß Euch unglaubliche Überwindung gekostet haben. Ihr habt Euch damit mein Vertauen redlich verdient.«
»Ich fühle mich geehrt.« Jakob legte den Lederbeutel mit den Münzen zurück in die Truhe.
Sara rückte näher an ihn heran, so daß auch sie in die Truhe schauen konnte.
»Außerdem«, sagte sie, »habe ich Euch nicht wegen dieser Münzen hierher geführt. In dieser Truhe befinden sich Dinge, die mir weit kostbarer sind als das Gold und die Edelsteine.« Sie griff in die Truhe und entnahm eine kleine Phiole.
»Da gibt es wirklich einige wundersame Dinge, die ich aus Isfahan mitgebracht habe. Dieses Fläschchen zum Beispiel enthält das Gift einer etwa zwei Zoll langen gesprenkelten und gestreiften Spinne, welche die Perser
Enkurek
nennen. In Italien und Spanien wird sie als Tarantel bezeichnet. Bereits ein Tropfen dieses Giftes würde in sämtliche Glieder eines Menschen fahren und ihn in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf fallen lassen. Die Perser nehmen mit einem Patienten, der von solch einer Spinne gebissen wurde, eine seltsame Kur vor. Sie flößen ihm Unmengen süßer Milch ein und legen ihn in einen flachen Kasten, den sie an vier Stricken aufhängen. Dieser Kasten wird so lange um die Stricke gedreht, bis diese fest zusammengeschnürt sind. Dann läßt man ihn los, und die Stricke drehen sich in wildem Wirbel auf. Diese Prozedur verursacht beim Patienten einen Schwindel, der ihn seinen Mageninhalt ausspeien läßt. Auch durch den Urin geht das Übel aus dem Körper, aber es kann Jahre dauern, bis das gesamte Gift ausgeschieden wurde.«
»Ihr solltet vorsichtig damit umgehen«, riet Jakob.
»Darum habe ich es ja auch auf den Speicher verbannt.« Saras Augen blitzten erwartungsvoll, als sie ein weiteres Kästchen aus der Truhe hob und vor sich abstellte. »Dies hier nun ist mir das liebste, was ich aus Persien mitgeführt habe.«
|147| Sie klappte es auf und drehte es zu Jakob herum. In der Schatulle befanden sich zahlreiche elegant gearbeitete Glasflakons, wie ein Haarnetz, überzogen mit Goldfiligran, sowie kleine Döschen, die mit stilisierten Goldblüten verziert waren.
»Ihr habt Euch gewünscht, Persien zu sehen, erinnert Ihr Euch?«
»Ja, das habe ich gesagt.«
»Vielleicht gelingt es mir, Euch auch auf diesem düsteren Speicher dorthin zu entführen. Wollt Ihr es wagen?«
Jakob nickte zögernd. Es war ihm nicht geheuer, was Sara hier mit ihm
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