Hexentochter
Eurer Seele spiegeln.«
Sie lachte verlegen, doch an ihrem Glühen erkannte er, dass sie sich insgeheim freute. »Nur noch eine halbe Tagesreise, bis wir den Hafen erreichen. Der König von Schottland, und eines Tages auch von England, findet doch gewiss Besseres mit seiner kostbaren Zeit anzufangen, als Liebesgedichte zu verfassen?«
Er nahm ihre Hand in seine und blickte ihr tief in die Augen. »Nichts ist dem König wichtiger als seine Königin. Hat Gott uns nicht befohlen, dass die Liebe unsere erste Pflicht sei? Und als Euer
Gemahl ist es meine Aufgabe, mich um Euch zu kümmern wie Christus um seine Schäfchen. Wie könnte man mir also die Herrschaft über ein Königreich anvertrauen, wenn ich nicht in der Lage wäre, Gottes einfachste Gebote zu erfüllen? Wie könnte ich tausende Untertanen im Geist des Mitgefühls regieren, wenn Euer bezauberndes Gesicht mich nicht zum Dichten rührte?«
Sie lächelte. »James, Eure Gedichte gefallen mir sehr. Ich wünschte nur, alles, was Ihr schreibt, wäre so angenehm zu lesen.«
Er tätschelte ihre Hand. »Ihr bezieht Euch auf die Dämonologie, die ich verfasse.«
Sie schauderte. »Solch grauenvolle, beängstigende Beschreibungen.«
»Liebste Anne, es ist nicht alles so schön wie Ihr. Diese Welt ist voll beängstigender Kräfte, sowohl Dämonen als auch jener elender Menschen, die ihnen dienen. Es ist unsere Pflicht, die Mythen und Verleugnungen um jene Geschöpfe zu enttarnen. Wir müssen das Licht der Wahrheit auf jene richten, die in der Finsternis leben.«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Einiges davon erscheint nur so wunderlich und fantastisch.«
»Was meint Ihr? Dämonen oder Hexen?«
Sie kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Das Schiff krängte heftig. James und Anne wurden gegen die hölzerne Wand geschleudert. Wasser strömte vom Deck den Niedergang herab und schwappte über ihre Füße.
Schreckensrufe drangen aus allen Ecken des Schiffes.
»Nur Mut, mein Liebling«, rief James und hielt auf die Leiter im Niedergang zu. Er wollte sie an Deck bringen, über die Wasserlinie, wo sie sicherer sein würden.
Nachdem das Schiff eine scheinbare Ewigkeit schräg auf der Seite gelegen hatte, richtete es sich wieder auf.
»Anne, jetzt!«, schrie James und platschte durch das steigende Wasser.
»Ich kann nicht! Meine Röcke!«
Er drehte sich nach ihr um. Ihr prachtvolles Kleid war nicht nur ruiniert, es brachte ihr den Tod. Die Röcke hatten sich mit Wasser vollgesogen. So würde sie niemals schwimmen können. Falls sie von Bord springen müssten, würde das Gewicht sie wie einen Stein in ein nasses Grab hinabziehen.
Er überlegte nicht lange, sondern kämpfte sich in die nächste Kajüte hinüber und hob sein Schwert auf, das zu Boden gefallen war. Das Wasser stand schon hüfttief, als er zu Anne zurückkehrte.
Er zog die Waffe aus der Scheide und hackte auf ihre Röcke ein, bis es ihm gelungen war, die meisten Stoffbahnen abzuschneiden. Sie stand zitternd in ihren Untergewändern da und starrte ihn verängstigt an. Er packte sie bei der Hand und zog sie aus der Kajüte. Sie hatten die Treppe nach oben zur Hälfte erklommen, als das Schiff erneut krängte.
Er kletterte weiter, hielt ihre Hand fest umklammert und zog sie hoch. Just in dem Augenblick, da sie das Deck erreichten, brach eine Welle darüber hinweg, und sie wurden beide über Bord gespült. Er schwamm mit aller Kraft der Wasseroberfläche entgegen. Anne umklammerte noch immer seine Hand und trat kräftig mit den Beinen aus. Seine Lunge brannte vor Gier nach Luft.
Als er schon alles verloren glaubte, brachen sie durch die Wasseroberfläche. Luft schoss in seine Lunge, und er japste und hustete. Er wandte den Kopf und suchte das Wasser ab. Er entdeckte ein kleines Boot nicht weit von ihnen, und sie schwammen darauf zu, wobei ihnen der Regen ins Gesicht schlug.
Als sie längsseits kamen, streckten sich ihnen Hände entgegen und zogen sie an Bord. Erschrockene Fischer blickten ihnen ängstlich ins Gesicht und erkundigten sich, ob sie verletzt seien. Langsam schüttelte James den Kopf und drehte sich um.
Von seinem königlichen Schiff war nur noch der Bug zu sehen, der nun vor seinen Augen in den dunklen Wellen versank. So urplötzlich, wie er
aufgekommen war, legte sich der Sturm auch wieder.
Der Kapitän des Fischerboots bekreuzigte sich. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Was meinst du?«, fragte der König scharf.
»Diese Sturmbö. Sie kam aus dem Nichts. Es war beinahe, als
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