Hexentraum
haben, dachte sie. H olly Cathers und ihr Coven sind lästig, um das Mindeste zu sagen. Aber das Haus Cahors hat sich ja noch nie an irgendwelche Regeln gehalten, außer an die eigenen. Dennoch - vielleicht habe ich zu hart über sie geurteilt. Amanda scheint nicht so zu sein wie der Rest ihrer Sippe. Sie ist sanft und sehr bemüht, der Göttin und auch anderen zu gefallen. Luna seufzte. Um Amandas willen, wenn schon aus keinem anderen Grund, sollte sie handeln. Außerdem waren ihre Hexen unruhig, und das war nie gut.
Deshalb saß sie nun allein in ihrem Gemach, umgeben von violetten Kerzen und dem Rauch von Beifuß und Wermut. Sie musste Holly Cathers finden, und dazu würde sie Magie brauchen.
Sie saß still da. Weitere violette Kerzen umstanden die Wasserschüssel vor ihr. Sie summte leise vor sich hin, während sie sich mit einer Nadel in die Spitze des Zeigefingers stach und drei Tropfen Blut in die Schüssel fallen ließ.
»Einen für Holly, einen für mich und einen für die Göttin«, murmelte sie dabei.
Sie starrte die scharlachroten Flecken im Wasser einen Moment lang an und schloss dann die Augen. Sie atmete tief durch.
»Göttin, ich rufe dich an, zu finden, was verloren scheint, eine Hexe aus dem Hause Cahors muss irgendwo verborgen sein. Gewähre mir die Gabe, zu sehen, wo soll ich auf die Suche gehen?«
Vor ihrem geistigen Auge erschien ein Gesicht, und sie keuchte überrascht auf. Das ist nicht Holly.
Drei
Deichtire
Wir tanzen im Feuer und singen im Spott
Wir opfern reichlich unserem Gott
Entzündet die Feuer, lasst Glocken schellen
Wir rufen die Unholde aus allen Höllen
Hüllt uns in den Mantel der Nacht
Wider des Gehörnten Macht
Wir sind der Tod, den wir euch leise
Bringen aus geweihtem Kreise
Veronica Cathers-Covey: Los Angeles,
21. September 1905,11 Uhr
»Musst du wirklich schon morgen früh abreisen?«, fragte Ginny und umarmte ihre Schwester in der Lobby des Coronado Hotel. Der Raum war großzügig und elegant und der Gehweg vor dem Eingang sogar gepflastert. Ginny und Veronica waren in wesentlich bescheideneren Verhältnissen im verregneten Seattle aufgewachsen, wo selbst einfache Plankenwege eine Seltenheit darstellten...
Veronica versuchte, die Stimmung mit einem Lachen aufzuheitern, doch es klang eher wie ein Schluchzen. »Du weißt, dass ich noch bleiben würde, wenn ich könnte. Aber ich muss nach Hause zu Charles und dem Baby.«
»Aber Seattle ist so weit weg!«
Veronicas Tränen tropften auf die dunklen Locken ihrer Schwester. Es kam ihr so vor, als hätten sie sich seit einer Ewigkeit nicht gesehen, und wer konnte wissen, wie lange es dauern mochte, bis sie wieder vereint sein würden? »Wir werden uns bald wiedersehen, das verspreche ich.«
Ginny nickte und ließ sie los. Mit tränennassem Gesicht drehte sie sich um und ging hinaus. Sie blickte ein letztes Mal über die Schulter zurück und winkte, ehe sie in die Kutsche stieg.
Veronica winkte der Kutsche nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Dann wandte sie sich matt der Rezeption zu. Zumindest werde ich bald zu Hause sein, bei Charles und unserem kleinen Joshua. Sie lächelte, denn dieser Gedanke munterte sie auf. Sie ging zur Treppe.
»Madam?«
Sie drehte sich um und sah den Nachtportier mit einem Telegramm in der Hand auf sich zukommen. Verwundert nahm sie es entgegen. Er nickte ihr zu und kehrte dann an den Empfang zurück. Sie drückte die Botschaft an sich und eilte die Treppe hinauf.
In ihrem Zimmer setzte sie sich auf das Sofa gegenüber der Waschgelegenheit. Ihr Blick fiel auf den Absender: Amy. Ihre Schwägerin.
Beklommen und mit zitternden Händen riss sie das Telegramm auf und las, wobei sie die Worte leise mitflüsterte.
»LIEBE VERONICA. STOP. KOMM SOFORT NACH HAUSE. STOP. CHARLES HEUTE MORGEN ERTRUNKEN. STOP. JOSHUA WOHLBEHALTEN BEI MIR. STOP. ICH BETE FÜR DICH. STOP. AMY.«
Ein Schrei entrang sich ihrem tiefsten Herzen. Sie sprang auf und schleuderte das Telegramm von sich. Es flatterte in der Luft wie ein hilfloses Papierschiffchen, das schließlich unterging. »Nein«, flüsterte sie.
Es klopfte leise an der Tür, und eine Männerstimme rief: »Madam, ist alles in Ordnung bei Ihnen?«
Wie betäubt öffnete sie die Tür und starrte den Mann an. Ihre Lippen bewegten sich, doch ein paar Sekunden lang brachte sie keinen Laut heraus. »Nein«, sagte sie schließlich. Dann sank sie zu Boden.
Veronica spürte ein Brennen in Augen und Nase. Sie schrak hoch und fand sich auf dem Sofa
Weitere Kostenlose Bücher