Hexentraum
deinen eigenen Vater umbringen willst?«
»Du weißt, wer ich bin und wer mein Vater ist. Und da fragst du noch?«
Sie nickte, offenbar befriedigt, und stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf. Sie streckte ihm die Hand hin, und er ergriff sie. Sobald er sich aufgerappelt hatte, wich er erleichtert ein paar Schritte von ihr zurück.
»Sir William hat die Hinrichtung deines Vaters angeordnet. Von dir hat er aber nichts gesagt.«
»Wer hätte gedacht, dass es so vorteilhaft sein kann, ignoriert zu werden«, scherzte er lahm und betastete vorsichtig seinen Hals. Er sah Blut an seinen Fingerspitzen und fluchte leise.
»Glaub mir, er ignoriert dich nicht. Er ignoriert nie jemanden, und deshalb ist er noch am Leben.«
»Klingt, als sprächest du aus persönlicher Erfahrung.«
Sie blickte kopfschüttelnd zu ihm auf. »Ich habe gesehen, wozu er in der Lage ist. Ich bin nicht scharf darauf, dass er das auch mit mir treibt.«
Jer lächelte über die doppeldeutige Wortwahl. Es war ein grimmiges Zeugnis der Welt, in der diese Frau lebte - der Seite, für die sie sich entschieden hatte.
»Lass das Auto stehen. Du fährst bei mir mit«, befahl die Frau.
Er sah sie argwöhnisch an. »Bin ich jetzt dein Gefangener?«
»Betrachte dich eher als Komplizen. So wie ich das sehe, verfolgen wir beide dasselbe Ziel.«
»Wenn du nichts dagegen hast, treffen wir uns doch lieber dort«, sagte er, ging langsam rückwärts auf sein Auto zu und machte sich bereit, eine Barriere zwischen ihnen zu errichten.
»An deiner Stelle würde ich das nicht tun«, warnte sie ihn, als er den Türgriff seines Wagens berührte.
»Und warum nicht?«
Sie zeigte ein fieses kleines Lächeln, das sich anfühlte, als prasselten Eiszapfen auf ihn herab. »Weil ich, während du dir drinnen etwas zu trinken gekauft hast, eine Bombe in deinem Wagen platziert habe.«
Er erstarrte, die Hand noch am Türgriff. Mit seinen Gedanken tastete er das Auto ab und suchte nach irgendetwas, das nicht dorthin gehörte. Doch es waren seine Augen, die es schließlich entdeckten. Auf dem Beifahrersitz lag ein kleines schwarzes Kästchen, aus dem sich Drähte schlängelten. Das könnte eine Attrappe sein, dachte er.
»Willst du es riskieren?«, fragte sie. »Nicht nur dein Leben und meines, sondern auch das des armen Idioten an der Kasse. Und deren Leben«, sagte sie mit einem Nicken. Er wandte den Kopf und sah eine Familie aus einem Kombi steigen, der gerade an einer der Zapfsäulen gehalten hatte. Alle trugen Mickey-Mouse-T-Shirts, und ihre erschöpften, aber glücklichen Gesichter sagten ihm deutlich, woher sie gerade kamen.
Ein Schweißtropfen rann die Mitte seines Rückens hinab, als er automatisch das Gesicht abwandte, damit die Kinder seine Narben nicht sahen. Seltsam, dachte er und starrte wieder die Frau an. Bei ihr war es mir egal, was sie über meine Narben denkt, schon bevor sie mich angegriffen hat.
»Wenn ich mit dir fahre, entschärfst du dann die Bombe, damit niemand verletzt wird, wenn wir weg sind?«
Sie zögerte kurz und nickte dann.
»Also gut«, gab er nach.
»Nimm vorsichtig die Hand vom Griff«, wies sie ihn an. Er gehorchte und wich dann von dem Wagen zurück.
»Braver Junge«, flötete sie. »Jetzt steig in den Minivan.«
Er schlug einen großen Bogen um sie. Sobald er die Beifahrertür ihres Wagens hinter sich schloss, ging sie zu seinem Auto. Die Außenspiegel des Minivans standen so, dass er seinen Wagen nicht sah, und noch ehe er einen verstellen konnte, erschien sie bereits wieder an der Fahrertür. Sie öffnete sie und stieg ein.
»Schon fertig?«, fragte er überrascht.
»Klar«, antwortete sie, ließ den Motor an und legte den Gang ein. Als sie sich wieder auf der Interstate 5 eingereiht hatte, fügte sie hinzu: »Das war keine Bombe.«
Er ließ den Kopf an die Lehne zurücksinken und seufzte. Offensichtlich konnte man ihr nicht trauen. »Also, hast du einen Namen, oder soll ich dich einfach Betrügerin nennen?«
»Wie wäre es stattdessen mit Verführerin?«, fragte sie kokett. »Ich heiße Eve.«
Das würde eine lange Fahrt werden.
June Cathers: Santa Paula, Kalifornien,
12. März 1928, 23.57 Uhr
Die vierjährige June Cathers lag wach im Bett, zu aufgeregt, um zu schlafen. Morgen war ihr Geburtstag, und dann würde sie fünf Jahre alt sein. Im Bett neben ihr schliefen ihre Zwillingsbrüder Timmy und Tommy tief und fest. June hielt den Atem an, um einen Moment lang dem Atem der beiden zu lauschen. Sie waren jünger als
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