Hexenzorn
die Augen weit aufgerissen, zweifellos wollte er ihn warnen, dass hier drinnen irgendwo eine Falle lauerte und er auf keinen Fall näher kommen sollte. Was B. sich bereits gedacht hatte, und deshalb nickte er Rondeau einfach freundlich zu. »Wie dem auch sei«, sagte er schließlich, »Marla hat ein paar Dinge zu erledigen, deshalb schickte sie mich, um mich ein bisschen mit Ihnen zu unterhalten.«
»Das reicht, ich werde keine weiteren Beleidigungen mehr dulden«, sagte der Himmlische, und die Augen der Schülerin verengten sich zu Schlitzen, ihre kleinen, blassen Hände ballten sich zu Fäusten. B. fragte sich, ob der alte Magier schon immer so reizbar gewesen war oder ob das Körpertauschen seinen Geist übermäßig belastet hatte. Als Rondeau ihm von dem Trick mit dem Ding auf der Schwelle erzählt hatte, hatte er erwähnt, dass so etwas passieren konnte, dass das Trauma der Seelenwanderung alles von einem winzigen Haarriss bis hin zu gewaltigen Erdspalten in der psychischen Landschaft eines Menschen hinterlassen konnte. »Sie kann es sich nicht leisten, mit mir zu spielen. Sie wird kommen, und sie wird mir Ch’ang Hao zurückbringen, den sie mir gestohlen hat, und sie wird es jetzt tun.«
B.’s Augen hatten sich mittlerweile an das dämmrige Licht gewöhnt, doch in den Schatten war immer noch Bewegung, was ihn stutzen ließ, denn diese Bewegungen schienen nicht mit dem Flackern der Laternen übereinzustimmen. Er kniff die Augen zusammen, und plötzlich ergaben die Bewegungen einen Sinn. Er sah Geistererscheinungen in dem Raum,
Dutzende, vielleicht noch mehr, sie wanden und krümmten sich. B. sah Kreaturen mit blauen Gesichtern und Fangzähnen, die geschmeidigen Silhouetten von Drachen, sich windende Schlangen, einen einbeinigen Vogel, einen Hirsch mit einem riesigen Geweih und eine groteske Kröte, aber die meisten waren Menschen, in einfache Kutten gekleidet, und die Emotionen, die sich in ihren Gesichtern widerspiegelten, reichten von Enttäuschung bis hin zu rasender Wut.
Und jeder Einzelne von ihnen sah den Himmlischen an, der immer noch über Marlas Respektlosigkeit vor sich hin fluchte. Ein knisterndes Energiefeld baute sich um die Hände und Unterarme des Himmlischen auf, und B. war überrascht, dass er tatsächlich sehen konnte, wie der Magier seine Kräfte konzentrierte. In Bethanys Zug hatte er etwas Ähnliches bei Marla beobachtet, einen weißlichen Nebel, der sich um sie bildete, als sie sich darauf vorbereitet hatte, die Giftfrösche einzufrieren. Er hatte den Anblick aber nicht richtig einordnen können. Der Himmlische war gerade dabei, etwas zu unternehmen, einen Zauber zu wirken, und B. musste ihn aufhalten.
»Hey!«, rief er, doch meinte er damit nicht Rondeau und auch nicht den Himmlischen oder die Schülerin im alten Körper, sondern die Geister, die unter einem hauchdünnen Schleier von Realität verborgen ihren Derwischtanz vollführten. Wie aus einer Trance gerissen starrten sie B. an, die meisten von ihnen erschrocken, manche mit einem bitteren Lächeln auf dem Gesicht. »Ihr könnt rauskommen«, sagte B. »Ich werde euch helfen.«
»Mit wem sprichst du, Speichellecker?«, fragte der Himmlische, seine Hände mittlerweile voll und ganz von dem schwarzen Energiefeld umgeben.
»Mit ihnen«, sagte B. und breitete seine Arme wie zu einer Willkommensgeste aus. Er reichte diesen Geistern und Fragmenten die Hand, so wie er es bei allen anderen Geistern und Orakeln tat, und er spürte, wie sie auf ihn reagierten.
Die Geister wurden plötzlich sichtbar - immer noch immateriell und durchscheinend, aber alle konnten sie jetzt sehen. Aus den Ecken des Raumes heraus bewegten sie sich auf den Himmlischen zu, und dort, wo ihre Körper die roten Fäden berührten, rissen sie einfach und verschwanden. Mit weit aufgerissenen Augen taumelte der Himmlische ein paar Schritte zurück, seine angesammelte Energie schien vergessen und begann sich aufzulösen. »Vorfahren«, sagte er. »Verehrte Vorfahren, Ihr missversteht - diese Dinge, die ich getan habe, ich hatte keine andere Wahl, ich wollte Euch und Eurem Andenken nicht schaden …«
Die Geister sprachen kein Wort. Sie zogen ihren Kreis nur immer enger um den Himmlischen, der in sich zusammenzuschrumpfen schien, sich die Arme schützend über den Kopf hielt und sich auf dem Boden zusammenkauerte. Die Geister schlugen ihn nicht - B. bezweifelte, dass sie es überhaupt gekonnt hätten -, aber sie zischten leise, sie sahen ihn an, und sie flüsterten,
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