Hexenzorn
und was auch immer sie sagten, der Himmlische schüttelte nur den Kopf und wimmerte. Die Schülerin im Körper des alten, chinesischen Meisters stand daneben und beobachtete das Schauspiel mit vollkommen undurchdringlichem Gesichtsausdruck.
B. fragte sich, wer diese Geister waren. Waren sie wirklich die Vorfahren des Himmlischen? Oder waren sie Ausgeburten von Wahnsinn oder Schuldgefühlen, denen B. vorübergehend Gestalt gegeben hatte? Was auch immer sie waren,
sie schienen den Himmlischen in Schach zu halten, und B. ergriff die Gelegenheit, um Rondeau aus seinem Stuhl zu befreien. Als er den Klebestreifen von Rondeaus Mund riss, fragte dieser sofort: »Ist Marla tot?«
»Nicht, als ich sie das letzte Mal sah«, antwortete B. und machte Rondeaus Beine los. »Sie wollte selbst kommen, aber wir haben von einem Orakel erfahren, wann Mutex seinen Plan in die Tat umsetzen will, nämlich bald, also musste sie sich um ihn kümmern.«
»Sie hat Ihnen ihren Umhang gegeben?«, fragte Rondeau ungläubig. »Damit Sie mich retten können?«
»Ja. Auch wenn der Umhang eigentlich nicht besonders viel genützt hat.«
»Ich würde sagen, Sie haben das auch so ganz gut hingekriegt«, meinte Rondeau und sah hinüber zum Himmlischen, der durch den Ring seiner durchschimmernden, zornigen Vorfahren, die ihm all seine Verbrechen aufzählten, kaum zu sehen war. »Aber wir müssen sie möglichst schnell ausfindig machen und ihr den Umhang zurückgeben. Sie ist zwar auch ohne eine knallharte Kämpferin und benutzt ihn normalerweise nicht, aber wir spielen hier mit einem ziemlich hohen Einsatz.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass sie Ihnen ihren Umhang gegeben hat.«
»Nun ja, ich habe ihr gesagt, ich hätte eine Vision gehabt, dass wir Mutex niemals besiegen könnten, wenn Sie sterben.«
»Verdammt, B.«, sagte Rondeau. »Ich wünschte, Sie hätten mir das nicht erzählt. Diesen zusätzlichen Druck kann ich jetzt nicht gebrauchen - ich bin gestern Nacht entführt worden und habe einen langen, harten Tag hinter mir.«
»Machen Sie sich nicht ins Hemd«, sagte B. »Ich hatte
keine Vision. Ich habe gelogen. Ich wollte nur, dass Marla mich losschickt, um Sie zu retten.«
»B.«, sagte Rondeau mit aufrichtiger Bewunderung in der Stimme. »Sie müssen ein unglaublich guter Lügner sein, wenn Marla Ihnen das abgekauft hat.«
»Nun, ich war mal Schauspieler«, antwortete er.
»Und ich habe immer geglaubt, Sie hätten Ihre Rollen nur wegen Ihres Aussehens bekommen.«
»Mein gutes Aussehen hat sicherlich nicht geschadet«, meinte B. »Aber ich habe durchaus auch andere Talente.«
»Offensichtlich, und da wir gerade davon sprechen … werden diese Geister und Geistmonster, oder was auch immer sie sind, den Chinesen umbringen?«
»Ich glaube, das würden sie gern, aber ich denke nicht, dass sie es können.« Und tatsächlich begannen die Geister bereits wieder zu verblassen. Trotzdem lag der Himmlische immer noch zusammengekauert auf dem Boden, anscheinend bewegungsunfähig vor Angst. Ohne seine bewusste Aufmerksamkeit schien es den Geistern schwerzufallen, ihre Manifestation aufrechtzuerhalten, selbst wenn B. ihnen dabei half.
»In diesem Fall …«, meinte Rondeau. »Hey, Schülerin!«
Die Schülerin sah Rondeau an.
»Ihr habt in diesem Laden doch jedes nur erdenkliche Kraut und sogar noch ein paar mehr, oder?«, fragte Rondeau.
Die Schülerin nickte.
»Dann renn’ los und misch was zusammen, das deinen Meister ein Weilchen schlafen lässt. Ich glaube nicht, dass er ansonsten noch lange so zusammengekauert da liegen bleibt.« Die Schülerin nickte wieder und lief in den vorderen Raum - so schnell das mit dem Körper eines alten Mannes eben ging.
Rondeau stand auf und streckte sich erst einmal, seine Wirbelsäule knackte dabei hörbar. »Das waren verdammt viele Stunden auf diesem Stuhl«, sagte Rondeau und warf dem Himmlischen einen finsteren Blick zu. »Wenn ich nicht Schiss hätte, ihn aufzuwecken, würde ich ihm einen ordentlichen Tritt verpassen.« Er grinste. »Und außerdem, vorausgesetzt Mutex und seine Goldfrosch-Allstars bringen uns nicht um, werde ich Marla dazu anstiften, dass sie mir hilft, und mit ihrer Hilfe werde ich diesen Trick mit dem Ding auf der Schwelle noch einmal abziehen und die Dinge wieder in Ordnung bringen. Die Schülerin wird ihren Körper wiederbekommen.«
B. legte Rondeau eine Hand auf die Schulter. »Das halte ich für eine durchaus gute Idee, aber … besteht nicht das
Weitere Kostenlose Bücher