Hexenzorn
Finch war wieder da. Er gähnte immer noch. »Und Sie, Miss Mason, sind ziemlich genau so alt, wie Sie aussehen, würde ich mal schätzen. Versuchen Sie nicht, ältere und bessere Magier hinters Licht zu führen, umso mehr, nachdem wir eigentlich schon zu einer Einigung gekommen waren. Ich bin sicher, Sie sind gut, auf Ihre eigene, bescheidene Art - andernfalls wären Sie für meine
Stadt auch nicht von Nutzen -, aber ich mache das hier schon viel länger als Sie.«
Marla dachte kurz daran, ihren Umhang zu wenden, was in dieser Situation jedoch eine geradezu sträfliche Dummheit gewesen wäre - nur, um anzugeben. Wahrscheinlich würde sie ihn angreifen, noch bevor sie die violette Seite wieder nach innen drehen konnte. Außerdem würde sie damit gar nichts beweisen. Der Umhang war ein mächtiges Artefakt, aber er hatte nichts mit Marlas Qualitäten als Magierin zu tun. Er war nur eine Waffe, und auch wenn Marla mehr damit anfangen konnte als jemand ohne entsprechende Erfahrung, sagte das nichts über ihre eigenen Qualitäten aus. Sie glaubte immer noch, dass sie Finch in einem Kampf wahrscheinlich besiegen würde, aber wenn sie versuchte, das ausgerechnet jetzt unter Beweis zu stellen, würde dabei vermutlich das ganze Haus zu Bruch gehen, und wenn Finch unter einem Schutthaufen begraben lag, wie sollte sie dann jemals an den Grenzstein herankommen?
Ihren Stolz fahren zu lassen, wenn er mit den Interessen ihrer Stadt in Konflikt geriet, war für Marla mit das Schwierigste an ihrem Dasein als Magieroberhaupt. Sie konnte sich nicht erlauben, sich mit diesem Geister vögelnden Bären auf einen Weitpinkelwettbewerb einzulassen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.
»Bringen Sie mich morgen zum Grenzstein, und ich rücke Ihnen nie wieder auf den Pelz«, sagte Marla. »Und jetzt können Sie von mir aus weiter die Toten belästigen.«
Das war sicher kein Abgang, an den man sich in den Geschichtsbüchern erinnern würde, aber Marla hatte einen langen Tag hinter sich, und ihr fiel schlichtweg nichts Besseres mehr ein.
Marla fand B. und Rondeau immer noch alleine im Whirlpool vor. Sie kniete sich hinter die beiden. »Ich hatte erwartet, Sie mittlerweile bis zur Hüfte in einen Ihrer Fans vertieft vorzufinden, Bowman«, sagte sie. »Und du, Rondeau, warum muss ich dich nicht von Zara herunterzerren und dich gegen deinen Willen nach Hause schleppen?«
»Zara war inzwischen anderweitig beschäftigt«, sagte Rondeau und starrte wütend auf das munter vor sich hin blubbernde Wasser. »Sie ist eine ungeduldige junge Frau mit ebenso zahlreichen wie verschiedenartigen Bedürfnissen.«
»Hat sich mit einer anderen Frau davongemacht, wie?«, meinte Marla grinsend.
»Kein Kommentar«, sagte Rondeau. Er blickte auf das Haus. »Und ich stelle mit Überraschung fest, dass du weder brennst noch dich in eine violette, mordlüsterne Furie verwandelt hast, also gehe ich mal davon aus, dass Mr. Finch nicht zuhause war.«
»Du unterschätzt mein diplomatisches Geschick, Rondeau. Finch und ich haben geredet. Und uns zugegebenermaßen zwischenzeitlich auf das Niveau miteinander wetteifernder Primaten begeben. Er sagte, er würde uns …« Sie warf B. einen kurzen Blick zu, dann wandte sie sich wieder an Rondeau. »Er wird uns morgen Früh dorthin bringen, wo wir hinmüssen.«
»Du vertraust ihm?«
»Rondeau, ich bin überrascht von dir. Natürlich vertraue ich ihm nicht, aber ich glaube, er wird sein Wort halten. Ich würde ihm ansonsten einfach zu viel Ärger machen. Auf jeden Fall rechne ich damit, dass ich morgen Mittag alle meine Geschäfte erledigt habe und wir nachmittags schon wieder auf dem Heimweg sind.«
»Das glaube ich nicht, Marla«, sagte B. »Sie sollten mir wirklich einmal zuhören, ich habe diese Träume, und etwas Schreckliches wird -«
Marla seufzte. »Jetzt hören Sie mal zu, Sie zweitklassiger Seher. Wahrscheinlich hat Ihnen das noch nie jemand gesagt, aber so etwas wie Schicksal gibt es nicht. Typen wie Sie, die alles wie durch einen dunklen Spiegel sehen oder wie auch immer das heißt, sehen nur Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, okay? Eure Vorhersagen gehen über die Grenzen der normalen Logik weit hinaus. Oder ihr lasst euch von verschiedensten übernatürlichen Wesen etwas zuflüstern, und die verfolgen damit ihre eigenen Ziele, glauben Sie mir - die liefern keine objektiven Berichte ab, und ihr wisst ganz einfach nicht, was geschehen wird. Mag sein, dass in Ihrem Traum letzte Nacht selbst das
Weitere Kostenlose Bücher