Hexenzorn
konnte, war, dass sie ihn haben wollte, und sie würde Finch in den Rachen greifen und ihm seine Eingeweide herausreißen, wenn er sie dabei nicht unterstützte. Aber noch bestand keine Notwendigkeit, gleich so brutal zu werden, vor allem, da Finch eventuell eigene Tricks auf Lager hatte. »Lässt ihn ein Stückchen kleiner werden? Sie machen wohl Witze. Man kann den Grenzstein den ganzen Tag lang für Zauberformeln verwenden, und er würde immer nochjahrhundertelang halten.«
»Wir denken längerfristig«, erwiderte Finch. »Wir wollen, dass er jahrtausendelang hält. Er ist sozusagen eine natürliche Ressource. Was für eine Zauberformel haben Sie denn im Sinn, dass Sie dafür einen Grenzstein brauchen?«
»Ich brauche einen Fesselungszauber. Einen mit Eisenketten, der für immer hält und nicht aufgehoben werden kann. Der Grenzstein ist die einzige Möglichkeit.«
Finch runzelte die Stirn. »Das klingt ein bisschen vage, nicht? Haben Sie nicht noch andere Möglichkeiten? Soweit ich weiß, gibt es einen Grenzstein unter dem British Museum …«
»Nein, das alte Magieroberhaupt von London, Ballard, hat ihn in die Finger bekommen. Er hat ihn letztes Jahr zermahlen und aufgegessen. Seine Energie in sich aufgesogen, als sie entwich. Interessieren Sie sich nicht für Nachrichten aus aller Welt? Ballard ist jetzt eine unsterbliche Statue in irgendeinem abgeschirmten Klosterhof. Er wird erst wieder aufwachen und zu Fleisch werden, wenn die letzten Regenwälder zerstört sind. Dann will er die zornigen Geister aller zerstörten Ökosysteme beschwören und die Weltherrschaft übernehmen oder so etwas, ich hab’ vergessen, was genau. Ziemlich verrückte Idee, aber es könnte funktionieren. Ich werde bis dahin jedoch unwiderruflich tot sein, fürchte ich.«
»Er hat einen Grenzstein gegessen?«, fragte Finch. Marla konnte anhand seines Tonfalls nicht entscheiden, ob er entsetzt oder beeindruckt war.
Marla nickte. »Ja, das hat er. Ballard war ein Scheißkerl, aber andererseits, als der Grenzstein noch unter dem British Museum lag, hatten wir auch nicht viel davon.«
»Nein, aber er hat auch keinen Schaden angerichtet, was
genauso wichtig ist. Woher soll ich wissen, dass Sie ihn nicht für etwas … Furchtbares einsetzen wollen? Vor ein paar Wochen war noch ein anderer Besucher da, der den Grenzstein für seine Zwecke benutzen wollte, und ich habe auch ihn unverrichteter Dinge weitergeschickt, nehmen Sie’s also nicht persönlich. Sie sind offensichtlich nicht so verrückt, wie er es war, trotzdem habe ich meine Zweifel. Warum sollte ich Ihnen vertrauen?«
»Dieser Verrückte«, sagte Marla und spürte einen Verdacht in sich aufkeimen, »war das ein älterer Mann mit Gehstock und einem altmodischen Biberhut?«
Finch runzelte die Stirn. »Nicht ganz. Er war jung und trug Unterwäsche aus Schlangenleder.«
Mist. So viel zu ihrer Spürnase. »Sie sind ihm also gleich an die Unterwäsche gegangen, oder?« Marla grinste.
»Auch das nicht. Er hatte nur nichts weiter an als einen seltsamen Umhang.«
»Tatsächlich?« Das klang wie die Beschreibung des Mannes, der mit Lao Tsung gesehen worden war. »Wie war sein Name?«
»Er klang ziemlich komisch …« Finch sah einen Moment lang an die Decke. »Mutex. Er nannte sich Mutex.«
»Klingt wie der Name eines geistesgestörten Superschurken.«
»Ich sagte etwas Ähnliches zu ihm, und er versicherte mir, es handele sich um einen sehr, sehr alten Familiennamen. Er kommt aus Mittelamerika, glaube ich. Warum interessieren Sie sich für ihn?«
»Der Typ in Chinatown erzählte mir, dass jemand beobachtet hatte, wie Lao Tsung mit einem Kerl in Unterwäsche und Umhang stritt. Und wenn dieser Kerl hier war und Sie
nach dem Grenzstein gefragt hat, ist es nur logisch anzunehmen, dass er Lao Tsung dasselbe gefragt hat …«
»Diese Verbindung ist mir durchaus bewusst, Marla, und wir gehen der Sache nach. Dieser Mutex kam vor Ihnen zu mir. Nachdem ich ihn abgewiesen hatte, hat er vermutlich irgendwie herausgefunden, dass Lao Tsung der Hüter des Grenzsteins ist, und ist dann zu ihm gegangen. Möglich, dass er etwas mit Lao Tsungs Tod zu tun hatte. Wie ich schon sagte, wir gehen der Sache nach. Es besteht keine Notwendigkeit, dass Sie sich mit unseren internen Angelegenheiten befassen. Wir hatten schon öfter mit Magiern auf Abwegen und begabten Durchgedrehten zu tun. Und falls dieser Mutex mehr als nur irgendein Verrückter sein sollte, werden wir auch mit ihm fertigwerden.«
Marla
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