Hexenzorn
Grenzstein erledigt haben und der Stadt ganz offiziell einen Gefallen schulden, ist ihm verboten, Ihnen Schaden zuzufügen. Bis dahin jedoch« - er breitete entschuldigend die Arme aus - »sind Sie nur eine Fremde, die ihm auf die Nerven gegangen ist. Sollen wir uns morgen in aller Frühe, sagen wir, um sieben, hier treffen? Ich bringe Sie dann zum Grenzstein, und mittags sind Sie schon wieder auf dem Heimweg.«
»Ich würde lieber jetzt gleich gehen.«
Finch sah sie finster an. »Falls es Ihnen entgangen sein sollte, ich sauge gerade die Energie von etlichen Dutzend kopulierenden Körpern auf und bin für den Rest der Nacht beschäftigt.«
»Dann sagen Sie mir einfach, wo der Grenzstein ist.«
»Nein. Ich kann nicht zulassen, dass Sie sich mit dem wichtigsten Artefakt meiner Stadt davonmachen.«
Marla machte den Mund auf, um zu protestieren, überlegte es sich dann aber anders. »Okay, schon gut. In Ihrer Lage würde ich dasselbe tun.« Wie sollte Marla heute Nacht nur schlafen, während sie sich ständig fragen musste, ob Susan nicht gerade ihren Zauber in Kraft setzte? Laut ihrer Quelle blieben Marla noch ein bis zwei Tage, aber ihre Quelle war entdeckt worden. Was jedoch nicht bedeutete, dass Susan die Dinge beschleunigen und ihren Zauber früher wirken konnte. Dazu brauchte es Ruhe, Meditation und Vorbereitungen, und nachdem Susan Marlas Informanten so zugerichtet hatte, war sie wohl eher etwas aufgewühlt. Marla
wollte die Sache mit ihrem Schutzzauber endlich hinter sich bringen, aber morgen Früh würde wahrscheinlich reichen. Es musste reichen. Sie glaubte nicht, dass sie das Versteck des Grenzsteins aus Finch herausprügeln könnte, schon gleich gar nicht in Anbetracht all der Energie, die er im Moment in sich hineinsaugte. »Ich sehe Sie also gleich morgen Früh. Und Danke für Ihre Hilfe.«
»Ich tue nur, was das Beste für meine Stadt ist«, sagte er. »Ich bezweifle, dass Sie einfach so verschwinden würden, wenn ich Sie abweisen würde, und ich bin mir sicher, in meiner Lage hätten Sie das Gleiche getan.«
»Wenn die Situation umgekehrt wäre, würde ich Sie wahrscheinlich einfach töten«, meinte Marla.
Finch nickte. »Tja, ich habe daran gedacht, es zu versuchen, aber ich glaube, es ist mir lieber, wenn Sie meiner Stadt etwas schulden. Über die näheren Einzelheiten können wir uns morgen unterhalten. Gehen Sie jetzt wieder nach unten, genießen Sie die Party.« Er stand auf. »Und platzen Sie nie wieder einfach so in meine Privaträume herein, oder wir werden sehen, wer von uns beiden tatsächlich der bessere Magier ist.«
Marla dachte kurz darüber nach, das zu schlucken und ihm das letzte Wort zu überlassen, aber das war einfach nicht ihre Art. »Ich muss nicht der bessere Magier sein, um Sie in einen Klumpen Fleisch und einen verängstigten Geist zu verwandeln, Finch«, sagte sie. »Sie mögen ein halbwegs anständiger Pornomant sein, aber in einem Zweikampf würde ich Ihnen Ihre eigenen Eier in den Rachen stopfen.«
»Oh, ich bitte darum«, erwiderte Finch, dann war er plötzlich verschwunden, und an seiner Stelle stand ein zottiger Grizzlybär mit gezackten Klauen. Er verströmte einen
gewaltigen Gestank, blickte mit leicht schräg gelegtem Kopf auf sie herab und gähnte.
Marla kniff die Augen zusammen. Illusionen waren leicht zu bewerkstelligen, wenn man wusste, wie. Was das Auge sieht, ist nichts anderes als die Interpretation der verschiedenen Wellenlängen des Lichts, das von der Umwelt reflektiert wird, und ein begabter Magier konnte diese Wellenlängen mit Leichtigkeit manipulieren und so das Auge täuschen. Mit Schall war das ähnlich einfach, man musste nur die entsprechenden Schwingungen in der Luft verändern. Marlas Augen waren jedoch nicht wie die eines normalen Menschen: mit ein wenig Anstrengung konnte sie im Dunkeln sehen, um metaphysische Ecken herumspähen und Illusionen durchschauen. Sie fokussierte ihren Blick und drang durch bis zu Finchs wahrer Gestalt … und sah einen Grizzly.
Finch hatte sich tatsächlich in einen echten, wenn auch magisch vergrößerten Grizzlybären verwandelt, und das war ein Totem-Zauber von schwerstem Kaliber. Sie stieß einen leisen Pfiff aus. »Wow«, sagte sie. »Sie geben also nicht nur den Pornomanten, einen Tanzbär haben Sie auch noch drauf. Das ist ein beachtliches Repertoire, Finch, das muss ich Ihnen lassen. Ich wette, Sie mussten um einiges älter werden, als Sie aussehen, um all das zu lernen.«
Der Bär verschwand, und
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