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Hexenzorn

Titel: Hexenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Pratt
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seiner Feinde vögelte.
    Marla legte einen Zahn zu, bis sie Finch eingeholt hatte und sie gemeinsam aus dem Dickicht hinaus auf die Lichtung traten.
    »Was zum Teufel …«, sagte Finch, während Marla sprachlos neben ihm stand und die Szene mit ihrem typischen Gefahrenerkennungs-Blick betrachtete. Sie war sich nur nicht sicher, was es da zu sehen gab, und noch viel weniger wusste sie, was jetzt zu tun war.
    Als Erstes registrierte sie den Mann, denn in fast jeder unerwarteten Situation waren Menschen und Monster das Gefährlichste. Sein Oberkörper war nackt, er hatte dunkle Haut und war so dünn, dass man seine Rippen sehen konnte. Er trug eine ziemlich knappe, kurze Hose, die aus grünen und roten Schlangenhäuten zu bestehen schien. Schwere, goldene Armreifen baumelten um seine Handgelenke, und der kurze Umhang, der ihm gerade bis zu den Kniekehlen reichte, schimmerte seltsam trübe wie Edelsteine mit zu vielen Lufteinschlüssen, die jemand zu einem Kleidungsstück verarbeitet hatte - organische Prismen, die seltsam abstoßend wirken. Er hielt einen großen, runden Weidenkorb schief unter den Arm geklemmt, und Marla spürte in dem Mann eine eigenartige Kraft: spirituelle Fülle kombiniert mit fortgeschrittenem Wahnsinn, eine Mischung, auf die ihre feinen Sinne sofort ansprachen, die sie aber nicht ausreichend entschlüsseln konnte. Eine rundum neue Erfahrung für sie. Er griff sie nicht an, genau genommen würdigte er sie nicht einmal eines Blickes. Seine Augen waren fest auf die andere Erscheinung geheftet, die sich
auf der Lichtung zeigte - einen noch weitaus befremdlicheren Anblick.
    Marla wusste sofort, dass dies der Grenzstein war: ein riesiger Brocken aus blaugrauem Fels in der Form eines roh behauenen Würfels mit gut und gerne einem halben Meter Seitenlänge, dessen magische Dichte so hoch war, dass sich das Licht in seiner direkten Umgebung krümmte und seine geraden Seitenflächen leicht konvex aussahen. Der Stein war in der Mitte der Lichtung aus dem Boden gerissen worden und hatte ein nasskaltes, schwarzes Loch hinterlassen. An seiner unteren Hälfte klebte immer noch Erde.
    Der Grenzstein schwebte einen knappen Meter über dem Boden, an unzähligen silbernen Fäden baumelnd. Die oberen Enden der Fäden führten zu hunderten - oder vielleicht tausenden - von Kolibris, die jeder für sich winzig klein waren, in dieser riesigen Anzahl jedoch eine schillernde, rubinrote Wolke bildeten.
    »Kolibris, mal wieder«, sagte Rondeau, und Marla nickte. Wahrscheinlich dachte sie gerade dasselbe wie Rondeau, nämlich an die Kolibris, die Rondeau im Aufzug verwünscht hatte. Eine Verwünschung war hier jedoch zu gefährlich: zu viel Lebendiges, zu viele Bäume und zu viele Möglichkeiten für eine plötzliche, verheerende Verschiebung im Gewebe der Schöpfung, die sich gegen sie selbst richten könnte. Aber zumindest hatten sie jetzt ihren Vogelzauberer gefunden, Mutex, den Freak in dem glitzernden Umhang, der anscheinend seine eigenen Pläne mit dem Grenzstein hatte und sich mit selbigem gerade davonmachte. Scheiß drauf. Marla hatte nicht den ganzen Weg bis hierher gemacht, um zuzusehen, wie sich irgend so ein dahergelaufener Vogelfreund vor ihren Augen den Grenzstein unter den Nagel riss.

    Doch noch bevor sie irgendetwas unternehmen konnte, hörte sie Finch schon neben sich brüllen: »Mutex!«
    Der Mann in dem Umhang machte eine leichte Verbeugung. »Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Ihr Euch an meinen Namen erinnert, Sir«, sagte er und hörte sich dabei gar nicht mal so verrückt an. »Nicht, seitdem Ihr mich so schlecht behandelt habt. Ich habe nicht erwartet, heute auf Euch zu treffen. Ich hatte gehofft, Euch erst später wieder zu begegnen, wenn ich eine bessere Verwendung für Euer Blut habe. Es macht mich traurig, dass ich Euer Teyolia hier auf diesem versteckten Flecken Erde verschwenden muss.«
    »Ich werde dich fressen«, knurrte Finch mit Wut und Vorfreude in der Stimme, »und dann werde ich deine kleine Hispano-Seele in den Arsch ficken.«
    »Hey, jetzt bloß nicht rassistisch werden«, sagte Rondeau. »Du fettes Schwein.« Das musste die Wirkung des Grenzsteins sein, dachte Marla: In seiner Nähe sagten die Leute, was sie tatsächlich meinten. Sie selbst hütete ihre Zunge.
    Mutex rührte sich immer noch nicht, genauso wenig wie Marla. Finch war stark, er würde allein mit dem Vogelmann zurechtkommen. Stattdessen ließ sie den Grenzstein nicht aus den Augen, während die Vögel ihn langsam

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