Hexenzorn
hielt ihn zurück. Die Frösche verteilten sich jetzt über die ganze Lichtung, hunderte davon breiteten sich über das Gras und die aufgewühlte Erde aus wie gelbe Wildblumen. Finch war umzingelt; Marla und Rondeau konnten ihm nicht mehr helfen. Die Frösche waren wie Landminen mit Beinen. Finch taumelte umher und trampelte auf ihnen herum, aber seine Angriffe wurden immer langsamer, seine Bewegungen träger. Selbst seine magisch aufgepeppte Bärenkonstitution hielt den Fröschen nur ein paar Sekunden lang stand, und Marla musste an die Pusteln auf Lao Tsungs Haut denken, die sich selbst dann noch gebildet hatten, als er bereits tot war. Wie giftig waren diese Dinger eigentlich? Marla verspürte wegen Finchs Tod einen Stich in ihrem Herzen. Er mochte ein Schwein gewesen sein, aber sie hatte seine Fähigkeiten respektiert und er die ihren, letztendlich. Und das war auch schon die engste Form von Freundschaft, die sich die meisten Magier leisten konnten.
Mutex sah zu, wie Finch umhertorkelte und langsam verendete. Dabei nickte er nachdenklich, als besuche er gerade eine Vorlesung über Steuerrecht oder Städtebauplanung.
Marla zog ihren nicht-magischen Alltagsdolch heraus und klemmte die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Dolch war eigentlich nicht zum Werfen geeignet, aber auf diese Distanz und mit der nötigen Kraft könnte sie Mutex wahrscheinlich eine einigermaßen schwere Wunde am Hals zufügen. Sie hob ihren Arm und schleuderte das Messer mit einer schnellen, eleganten Bewegung, die zweifellos Lao Tsungs Beifall gefunden hätte.
Nach weniger als einem Meter traf die Klinge einen Kolibri. Ein wirbelnder Fächer aus rubinroten Flügeln, die sich so schnell bewegten, dass selbst Marlas Augen nicht folgen konnten, ließ das Wurfgeschoss abprallen und schleuderte es zurück, sodass es direkt vor Marlas Füßen einen Erdklumpen aus dem Boden schlug. Der Vogel schwebte einen Moment lang in der Luft, vollkommen unverletzt, und sah Marla mit seinen kleinen schwarzen Augen an, dann vereinigte er sich wie ein Blitz wieder mit dem Schwarm, der den Grenzstein langsam, aber stetig davontrug.
Marla starrte Mutex an, der ihr auf Wiedersehen winkte und sich dann davonmachte. Finch war mittlerweile nur noch ein lebloser Haufen aus braunem Fell, der regungslos zwischen den Fröschen lag. Mutex und der Grenzstein verschwanden zwischen den Bäumen.
»Soll ich es mit einer Verwünschung versuchen?«, fragte Rondeau, aber Marla schüttelte den Kopf. Das war zu gefährlich, zu unvorhersehbar das Ergebnis, vor allem mit all den sterblichen Geschöpfen in der Nähe. Die Frösche hüpften immer noch umher, ein paar davon auf Finchs leblosem Körper. Marla hielt nach Mutex Ausschau, aber er war verschwunden. Auch die Vögel waren weg und mit ihnen der Stein. Alle zusammen waren sie jetzt in irgendeiner Raumfalte
der Insel verborgen. Und Marla konnte sie nicht einmal verfolgen. Die Frösche machten die Lichtung unpassierbar, und wenn sie sich einen Weg durch die Bäume suchte, um die Frösche zu umgehen, würde sie sich nur selbst in einer Raumfalte verlaufen und sich am Ende noch weiter von Mutex entfernen, als es ohnehin schon der Fall war. Im nicht-euklidischen Raum war es schwierig, jemandem auf den Fersen zu bleiben.
»Wir sollten hier verschwinden«, sagte sie, blieb aber noch einen Moment lang stehen. Wohin sollte sie gehen, sobald sie die Insel verlassen hatten? Wie sollte sie Mutex und den Grenzstein aufspüren? In ihrer eigenen Stadt hatte sie jede Menge Kontakte und beträchtlichen Einfluss. Sie kannte Seher, Hexen und Orakel, und auch wenn deren Informationen oft unklar und verworren waren, konnte sie meistens doch einen gewissen Nutzen daraus ziehen, vor allem dann, wenn sie in einer Art übernatürlicher Triangulation mehr als eine Quelle auswertete. Aber hier, in San Francisco … war das einzige Wesen, das sie um Hilfe bitten konnte, ein Schlangengott, den sie sich zum Todfeind gemacht hatte. Und außerdem wusste der auch nicht, wie diese Stadt funktionierte, wer die Strippen zog oder wie man die richtigen Leute ausfindig machen konnte, um wiederum andere aufzuspüren. Natürlich konnte sie Ch’ang Hao befehlen, Mutex zu töten, und letztendlich würde er das auch tun, aber Götter lebten und handelten nach ihrer eigenen Zeitrechnung, und das wäre mit Sicherheit zu spät.
Marla blieb nichts anderes übrig, als umherzustreifen und der Magie nachzuspüren, zu versuchen, andere Magier ausfindig zu machen, und
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