Hexenzorn
dass Sie Mutex in absehbarer Zeit kriegen werden?«
»Meine Spiegel-Identitäten sind in Massen unterwegs, Ms. Mason. Jede halbe Stunde bekomme ich ein Update über ihren Status. Mit dem letzten Ping, den ich erhielt, kurz bevor Sie hier ankamen, habe ich erfahren, dass Mutex nur ein paar Häuserblocks von hier entfernt ist. Meine Spiegel-Identitäten sind ihm auf den Fersen. Sie haben sich über diesen Ping aufeinander abgestimmt, und jetzt kreisen sie ihn von allen Seiten ein. Er ist so gut wie tot, und seine kleinen Giftfrösche können ihm jetzt auch nicht mehr helfen. Meine Spiegel-Identitäten sind immun gegen jedes Gift. Sie bewegen sich zwar in der materiellen Welt, bestehen selbst aber nicht aus Materie. Man kann sie vielleicht kurzzeitig ausschalten, aber ihnen keinen wirklichen Schaden zufügen.« Er klopfte sich auf die Brust - eine ziemlich groteske Geste, wie Marla fand, in Anbetracht der Tatsache, dass Mutex hinter Magierherzen her war - und sagte: »Solange ich noch am Leben bin, sind sie es auch.«
»Sie wollen ihn hierher bringen?«, fragte Marla. »Sind Sie sicher, dass das klug ist?«
Dalton grinste. »Machen Sie sich keine Sorgen, er wird nicht bei Bewusstsein sein, wenn er hier ankommt. Und meine Spiegel-Identitäten werden dafür sorgen, dass keine biologischen Giftstoffe ins Gebäude gelangen.«
War Dalton größenwahnsinnig oder hatte er nur ein gesundes Selbstvertrauen? Nun, bald würden sie es wissen. Wahrscheinlich schon sehr bald.
Etwas auf Daltons Schreibtisch summte. Er runzelte die Stirn, beugte sich nach vorn und drückte eine Taste. »Seltsam«, sagte er. »Das war der Türalarm, aber die Tür ist zu, und ich sehe niemanden auf den Monitoren.«
»Verdammt«, fluchte Marla. »Könnte derjenige unsichtbar sein?«
Dalton verdrehte die Augen. »Ich habe hier überall die neuesten Dechiffriertechniken installiert, falls er also nicht eine völlig neue Zauberformel verwendet, scheint mir das wenig wahrscheinlich. Und natürlich habe ich auch Infrarotsensoren. Es handelt sich wohl eher um einen Fehlalarm. Ich spule mal kurz die Aufzeichnung zurück … Nein, die Tür wurde nicht geöffnet, sehen Sie?«
Er schwenkte den Monitor, auf dem ein verblüffend hoch aufgelöstes Bild der Eingangstür zu sehen war, zu Marla. Sie kannte nur verpixelte, unscharfe Überwachungsvideos und war überrascht; andererseits war es nur logisch, dass Dalton technisch besser ausgerüstet war als der Durchschnittsbürger. Die Tür hatte sich nicht geöffnet, doch da war etwas - ein kurzes Flackern, fast zu kurz, um es mit bloßem Auge zu sehen, aber Marla entging es nicht. »Was war das …«
Blut quoll aus Daltons Mund, dann ergoss sich eine ganze Fontäne quer über Schreibtisch und Computer. Marla hechtete nach hinten, um möglichst viel Abstand zwischen sich und das zu bringen, was Dalton gerade angegriffen hatte. Aber was hatte ihn gerade angegriffen? Außer ihnen war niemand im Raum, es sei denn, es handelte sich doch um jemand Unsichtbaren. »B., Rondeau, raus hier!«, schrie sie, und die beiden gehorchten bereitwillig. Rondeau zog B. an der Hand hinter sich her, und Daltons Spiegel-Identitäten
eilten an Marlas Seite, schienen aber keine Ahnung zu haben, was jetzt zu tun sei.
Dann sah Marla einen Kolibri hoch in der Ecke des Raums schweben, und da wusste sie, dass dies Mutex’ Werk war. Etwas Unsichtbares warf Daltons Leiche - er weilte ganz offensichtlich nicht mehr unter den Lebenden - auf den Schreibtisch und fegte damit die Monitore beiseite, die krachend und Funken sprühend auf dem Boden zerschellten. Etwas riss Daltons Hemd auf, Stofffetzen flogen durch die Luft, dann sprudelte hellrotes, arterielles Blut, als Daltons Brustkorb aufplatzte. Hinter dem Schreibtisch sah sie ein Flimmern wie das Flattern von rubinroten Kolibriflügeln, zu schnell für das menschliche Auge.
»So eine Scheiße!«, fluchte Marla. Der Moment war gekommen, an dem nichts anderes mehr helfen würde, und Marla drehte ihren Umhang um.
Die gütigen, heilenden Eigenschaften der weißen Seite verschwanden, und mit der Innenseite trat das dunkle Violett eines Blutergusses hervor und hüllte Marla in einen Schleier königlicher Autorität. Jedes Mal, wenn dies geschah, zog sich Marlas rationaler Geist in einen weit entlegenen Winkel ihres Bewusstseins zurück. In diesem Zustand konnte sie sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit bewegen und Kraftakte vollbringen, die normalerweise zu Knochenbrüchen führen würden -
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