Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns
etwas Gnadenloses, das Pri entsetzte.
Sie hatte das Gefühl, dass sich der Kreis immer enger um sie schloss. Sie musste hier raus, bevor es zu spät war, bevor sich dieser fremde und doch so vertraute Mann mit Dr. Baltimore verbinden konnte. Mit aller Kraft, die sie mobilisieren konnte, kämpfte sie das Schwindelgefühl nieder.
Sie wusste, was kommen würde, die harten, pochenden Kopfschmerzen, die sie besonders in den ersten Monaten ihres Aufenthalts gequält hatten, aber im Moment erschienen ihr selbst die Schmerzen erträglicher als die furchtbaren Visionen, das Gesicht, das sie in den Wahnsinn treiben wollte …
So schlimm war es schon lange nicht mehr gewesen. Hinter ihren Schläfen hämmerte ein furchtbarer Schmerz. Sie war kaum in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, aber sie biss die Zähne zusammen und kämpfte sich vorwärts, Schritt für Schritt.
Irgendwo raschelte etwas, und dann huschte eines der üblen Geschöpfe vorbei, die in den Tiefen des Kellers hausten, eine Ratte. Trotz der fast allgegenwärtigen Dunkelheit glaubte sie, das bösartige Funkeln ihrer Augen zu sehen. Die Ratte verharrte vor ihr, einen kurzen Moment nur, aber lange genug, um ihren Blick auf sich zu ziehen.
Pri stöhnte auf. Sie hatte das Gefühl, glühende, heiße Dampfschwaden einzuatmen, und plötzlich sah sie den Mann wieder deutlich vor sich, den Mann, der sich auf den Weg gemacht hatte, sie zu vernichten, und dem sie zuvorkommen musste. Sie streckte die Hände aus, fühlte einen schmerzhaften Stich durch ihre Arme rasen, und dann, plötzlich, war es vorbei.
Acorn stand vor ihr. Sein schmales, tief gefurchtes Gesicht zeigte Besorgnis. In der Rechten hielt er eine flackernde Kerze, und hinter ihm fiel ein schmaler Lichtstreifen durch die angelehnte Tür, die zum Heiligtum führte.
»Ist dir nicht gut, Pri?«, fragte er.
Pri schüttelte den Kopf. »Es … es geht schon wieder«, sagte sie leise. »Es … war nichts. Nur ein Anfall.«
Acorn nickte verständnisvoll und ergriff sie beim Arm. Seine alterslosen Augen blieben ausdruckslos, aber seine Stirn wirkte noch stärker zerfurcht als sonst.
»Du hast geschrien, Pri«, sagte er. »So laut, als ob du unbedingt den Doktor auf uns aufmerksam machen wolltest.«
»Das … tut mir Leid«, flüsterte Pri.
Die Kopfschmerzen hatten nachgelassen, aber sie fühlte sich noch immer schwach und elend. Widerstandslos ließ sie sich von Acorn die wenigen Meter zum Heiligtum führen.
»Du hast einen Namen genannt«, sagte Acorn beiläufig, als er die Tür aufstieß und Pri zu ihrem Platz führte.
»Was für einen Namen?«
Acorn lächelte schwach. »Wenn ich mich nicht verhört habe, hast du Robert geschrien. Immer wieder.«
»Robert?«, wiederholte Pri nachdenklich.
Der Name löste bei ihr einen entfernten Nachhall aus, aber sie konnte ihn trotzdem nicht unterbringen. Sie war sich sicher, dass es in ihrem Leben einmal einen Robert gegeben hatte, aber wann und wo?
Sie wusste wenig von dem Leben, das sie geführt hatte, bevor sie dem Doktor in die Hände gefallen war.
»War das alles?«, fragte sie. »Oder habe ich noch etwas anderes gesagt?«
Acorn schüttelte den Kopf. »Gesagt hast du sowieso nichts. Du hast geschrien.«
Pri wischte seine Antwort mit einer Handbewegung zur Seite. »Es ist auch nicht wichtig«, behauptete sie. »Wir müssen den Bann brechen, der uns hier gefangen hält, etwas anderes zählt nicht. Wo ist Santers?«
Acorn zuckte mit den Achseln. In dem einfachen, grauen Anzug, den er trug, hätte man ihn auf den ersten Blick für einen Handelsreisenden halten können. Aber auch nur auf den ersten Blick.
In seinen Augen brannte ein fanatisches Feuer, das von ungeheurer Kraft und Unnachgiebigkeit zeugte. Es hatte lange gedauert, bis Pri zu ihm Vertrauen gefasst hatte. Bis jetzt hatte sie es nicht bereut. Aber noch hatten sie auch nicht die Aufgabe erfüllt, die sie drei sich gestellt hatten.
»Er wird gleich kommen«, sagte Acorn gleichgültig.
Er schob seinen Stuhl etwas nach hinten. Staub wirbelte auf, irgendwo huschte etwas davon. Eine Spinne, die vor dem ungewohnten Licht floh, oder eine Ratte …
Pri versuchte nicht daran zu denken. Das Erlebnis in dem Gang, der Anfall und das unangenehme Zusammentreffen mit der Ratte hatten sie mehr mitgenommen, als sie sich eingestehen wollte.
»Es wird auch Zeit, dass er kommt«, sagte sie schroff.
Acorn bedachte sie mit einem überraschten Blick. »Aber du weißt doch, dass er noch eine Kleinigkeit zu
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