Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser
als er bewusstlos auf dem Bett gelegen hatte, und auch hinterher, während sie nebeneinander durch die stillen Straßen Arkhams gingen.
Das Ergebnis war stets das gleiche gewesen.
Nichts.
Es war, als pralle er gegen eine unsichtbare Wand, jedesmal, wenn er versuchte, in Jeffs Geist einzutauchen, hinter seine Stirn zu sehen und zu erkennen, wer dieser Mann wirklich war.
Einen Moment lang hatte er gar geargwöhnt, dass es der sein könne, nach dem er suchen sollte. Aber dieser Gedanke war absurd und er verwarf ihn im gleichen Moment wieder, in dem er ihm gekommen war. Jeff war viel zu jung und die Beschreibung, die ihm der Meister gegeben hatte, war …
Auch das war etwas Sonderbares. Shannon hatte noch nie in seinem Leben etwas vergessen. Er erinnerte sich an jeden Augenblick, jedes Wort, das er jemals mit jemandem gewechselt hatte, jedes Buch, jede Zeile, die er gelesen, ja, jeden Gedanken, den er jemals gedacht hatte. All dieses Wissen war da, bereit, dass er nach ihm griff und sich seiner bediente.
An die Beschreibung von Roderick Andaras Sohn konnte er sich nicht erinnern.
Jedesmal, wenn er es versuchte, schien eine unsichtbare Hand durch sein Denken zu fahren und das Bild fortzuwischen, als wache irgendetwas eifersüchtig über seine Gedanken und verhindere, dass sie in eine bestimmte Richtung gingen.
Aber selbst dieser Gedanke entglitt ihm, ehe er ihn richtig fassen oder auch nur wirklich misstrauisch werden konnte.
Das Boot hatte mittlerweile die Mitte des Flusses erreicht. Die Strömung wurde stärker und für eine Weile bedurfte es Shannons ganzer Konzentration, sich gegen die Ruder zu stemmen und der Strömung Widerstand zu leisten.
Er bemerkte die Gefahr beinahe zu spät.
Etwas Körperloses, Eisiges, schien wie kalter Wind über den Fluss zu streifen – und dann verspürte er einen scharfen Schmerz, wie einen Stich in seinen Gedanken.
Shannon fuhr auf, ließ das Ruder fahren und drehte mit einem Ruck den Kopf.
Auf dem gegenüber liegenden Ufer des Miscatonic war eine Gestalt erschienen. Der Mann war zu weit entfernt, als dass Shannon Einzelheiten erkennen konnte, aber er schien auf erschreckende Weise düster und bedrohlich. An seinem Kopf war etwas Helles, das Shannon nicht genau identifizieren konnte, das ihn aber vage an etwas erinnerte.
Shannon hob die Hand, murmelte ein Wort der MACHT und schloss für eine halbe Sekunde die Augen.
Als er die Lider wieder hob, hatte sich die Welt vor ihm verändert. Sie war zu einem schwarz-weißen Negativbild geworden, durchzogen von grauen, pulsierenden Linien wie in einem gigantischen Spinnennetz. Hier und da ballten sich diese Linien, bildeten Knoten und pulsierende graue Nester – und eines dieser Machtzentren lag direkt über dem Fremden mit dem sonderbar hellen Haar!
Plötzlich fiel Shannon auf, wie viele der grauen Schattenlinien von der Gestalt des Fremden aus direkt ins Wasser liefen.
Aber die Erkenntnis kam zu spät.
Tief unter dem kleinen Boot erwachte ein mächtiger Schatten. Shannons warnender Schrei ging im Krachen splitternden Holzes unter, als das Boot von einer unsichtbaren Faust getroffen und in Stücke geschlagen wurde.
Schon den ganzen Tag über hatte Howard eine sonderbare Unruhe verspürt, eine Art von Sorge, das Empfinden einer nur vage fühlbaren Gefahr, die es ihm unmöglich machte, sich auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren.
Selbst jetzt, während er Professor Langley zuhörte (oder es wenigstens versuchte), wühlte und grub eine starke Unruhe in ihm. Die Worte des grauhaarigen, kleinen Professors, dessen Vater bereits ebenso wie dessen Vater und auch Großvater bereits an der Miscatonic-Universität gelehrt hatte, entglitten ihm immer wieder und er ertappte sich ein paarmal dabei zu nicken oder zu antworten, ohne überhaupt verstanden zu haben, was Langley gesagt hatte.
Schließlich hielt Langley in seiner Rede inne, schüttelte den Kopf und begann sich eine Pfeife zu stopfen. Umständlich nahm er sich Feuer, sog am Mundstück, bis der Tabak im Kopf der geschnitzten Bruyere-Pfeife wie ein kleiner roter Vulkan aufleuchtete, und blies eine dicke Rauchwolke durch die Nase aus.
»Sie sind unaufmerksam, mein Freund«, sagte er. »Ich frage mich, ob Sie etwas bedrückt.«
Howard sah mit einem fast schuldbewussten Lächeln auf und blickte einen Moment an Langley vorbei aus dem Fenster. Es war fast Mittag. Von hier, aus der Wärme und Sicherheit von Langleys kleinem Studierzimmer hoch unter dem Dach des Hauptgebäudes
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