Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser

Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser

Titel: Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
grob vor sich her durch die Tür und deutete auf das schmale, mit zerschlissenen grauen Tüchern bezogene Bett, das den winzigen Verschlag fast vollkommen ausfüllte.
    In dem Bett lag eine Frau. Sie schlief und trotz ihres blassen, von Fieber und Schmerzen gezeichneten Gesichtes erkannte ich, dass sie sehr schön sein musste und sehr jung; kaum älter als ich selbst. Nicht das, was ich mir als Lowry Temples Frau vorgestellt hatte …
    »Ihre Frau?«, fragte ich leise.
    Temples nickte. Sein Gesicht war wie Stein, ohne die geringste Regung, aber in seinen Augen flackerte ein Licht, das mich schaudern ließ. »Ja«, antwortete er. »Aber das wollte ich Ihnen nicht zeigen. Ich bin Vater geworden, Craven. Heute Morgen.«
    Etwas an der Art, in der er die Worte aussprach, hielt mich davon zurück, ihm zu gratulieren oder sonst irgendwie zu antworten. Wortlos starrte ich ihn an, bis er sich umwandte, am Bett vorbeiging und mir mit Gesten bedeutete, ihm zu folgen.
    Neben dem Bett stand eine Wiege, hastig improvisiert aus einem längs durchgeschnittenen Fass und Stroh, über das ein zerschlissener Kissenbezug gestreift war. Tempels deutete hinein, wartete ungeduldig, bis ich näher getreten war, und legte die Hand auf das Laken, mit dem das Kind zugedeckt war.
    »Mein Sohn«, sagte er.
    Ich beugte mich über die Wiege, betrachtete den schlafenden Knaben eine Weile und sah dann wieder zu Temples auf. »Ein hübsches Kind«, sagte ich, und die Worte waren wirklich ehrlich gemeint. Ich habe eine Menge neugeborener Kinder gesehen in meinem Leben und die meisten waren hässlich wie die Nacht. Temples’ Sohn war es nicht; im Gegenteil.
    »Meinen Glückwunsch«, fügte ich hinzu. »Ein so hübsches Kind sieht man selten. Sie können stolz darauf sein.«
    »Finden Sie?«, fragte Temples. Dann zog er das Bettlaken mit einem Ruck herunter.
    Darunter war das Kind nackt.
    Und als ich seinen Körper sah, wurde mir übel.
     
    »Hier – nehmen Sie.« Die alte Frau drückte mir einen Becher mit heißem, dampfendem Kaffee in die Hand. Mit zitternden Händen führte ich ihn an die Lippen, trank mit raschen, fast gierigen Zügen und schmeckte den Rum, den sie hineingegossen hatte.
    »Es tut mir Leid«, sagte sie und setzte sich mir gegenüber. »Aber ich hielt es für besser, wenn Sie mit eigenen Augen sehen, was hier geschehen ist.«
    »Warum redest du noch mit ihm, Ayres?«, schnappte Temples. Sein Gesicht war bleich und auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Ihn hatte der Anblick des Säuglings ebenso getroffen wie mich.
    Ayres schüttelte den Kopf, faltete die Hände auf der Tischplatte und sah Temples fast mitleidig an. »Du bist ein Narr, Lowry«, sagte sie. »Dieser Mann ist nicht Roderick Andara, begreifst du das nicht?«
    »Er ist sein Sohn«, antwortete Temples stur. »Das macht keinen Unterschied.«
    Ich sah auf, versuchte vergeblich seinem Blick standzuhalten, und sah betreten an ihm vorbei auf die geschlossene Tür zur Schlafkammer. »Es … es tut mir Leid, Mister Temples«, sagte ich leise. »Ich weiß nicht, was hier geschehen ist, aber Sie haben mein volles Mitgefühl.«
    Als ich die Reaktion auf meine Worte sah, hätte ich mich am liebsten selbst geohrfeigt. Temples’ Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Hasses. Ganz gleich, ob er mir glaubte oder nicht – diese bedauernswerte Kreatur dort drinnen war sein Sohn! Meine Worte mussten wie grausamer Hohn in seinen Ohren klingen.
    »Was bedeutet das alles?«, fragte ich, nun wieder an Ayres gewandt.
    Die alte Frau sah mich einen Herzschlag lang mit undeutbarem Blick an, ehe sie antwortete. Es war absurd – von allen hier war sie die Einzige, die mich bisher nicht als Feind behandelt hatte. Sie hatte mich im Gegenteil sogar in Schutz genommen und wahrscheinlich hatte ich es einzig ihr zu verdanken, dass ich überhaupt noch lebte. Und trotzdem wurde das Gefühl der Bedrohung, das ich bei ihrem Anblick empfand, mit jeder Sekunde stärker.
    »Was Sie hier sehen, Mister Craven«, sagte Ayres, »ist das Werk Ihres Vaters. Der Fluch, den er auf die Bewohner dieser Ortschaft legte und der sie seit zweihundert Jahren verfolgt.«
    »Sie meinen, dieses … dieses Kind ist nicht das erste?«, fragte ich stockend, obwohl ich die Antwort längst wusste.
    Temples lachte schrill, aber Ayres brachte ihn mit einem scharfen Blick zum Verstummen. »Nein«, sagte sie. »Sehen Sie sich doch um. Sehen Sie sich Lowry an, oder Curd, oder« – sie zögerte unmerklich, hob dann mit einem Ruck die

Weitere Kostenlose Bücher