Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
schon fin’n, meinter. Du sollst zum Haus komm’, mittem Buch.«
»Das verbiete ich«, sagte Tornhill ruhig.
Rowlf lächelte. »’n Wort, unich hau ihm aufs Maul«, sagte er liebenswürdig. »Sin noch zwei Betten frei hier.«
Tornhill reagierte nicht auf die Drohung, aber seine Stimme klang versöhnlicher, als er weitersprach. »Er wird Sie umbringen, Craven«, sagte er. »Und Howard und Priscylla auch. Glauben Sie im Ernst, er lässt einen von ihnen am Leben, wenn er das Buch hat?«
»Mich sicher nicht«, antwortete ich. »Aber vielleicht Priscylla. Verdammt, Tornhill, was würden Sie tun, wenn er Ihre Freundin und Ihren besten Freund dort gefangen hätte und als Geiseln benutzte?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Tornhill. »Und ich denke auch nicht über Fragen nach, die mit was-wäre-wenn beginnen, Craven. Mich interessieren Fakten.«
Er stand auf, trat ein paar Schritte vom Bett zurück und griff in die Manteltasche. Als er die Hand wieder hervorzog, lag eine Pistole darin. Der Hahn knackte hörbar.
»Und diese Fakten«, fuhr er fort, »besagen eindeutig, dass Sie im Moment nicht der richtige Mann sind, eine Entscheidung zu treffen. Sie sind nicht objektiv, Craven. Sie lieben dieses Mädchen und würden alles tun, um sie zu befreien. Selbst diesem wahnsinnigen alten Mann das Buch überlassen. Und das kann ich nicht gestatten.«
Ich stand auf, aber ich griff ihn nicht an. Tornhill würde schießen – ich kannte ihn so gut wie er sich selbst. Er würde ohne Zögern abdrücken, wenn ich einen Trick versuchte.
»Und was haben Sie vor?«
»Ich bringe Sie zurück in den Yard in Ihre Zelle«, sagte Tornhill. »Dann nehme ich zehn von meinen besten Leuten und räuchere Necron und seine Mörderbande aus. Morgen früh ist alles vorbei.«
»Damit bringen Sie Howard und Priscylla um.«
»Das ist möglich«, gestand Tornhill. »Aber nicht sehr wahrscheinlich, Craven. Wir haben gute Leute beim Yard. Und ich habe schon mehr als eine Geisel befreit.«
»Aus den Händen eines Magiers?«
»Der ist auch nicht kugelfest«, sagte Tornhill lakonisch.
»Sind Sie sicher?«
Meine Frage brachte ihn sichtlich aus dem Konzept. Aber nur für einen ganz kurzen Moment. Dann schüttelte er unwillig den Kopf, steckte die Hand mit der Waffe in die Manteltasche und deutete mit der anderen zur Tür. »Gehen Sie, Craven«, befahl er. »Und denken Sie daran: eine falsche Bewegung und ich erschieße Sie. Besser, Sie glauben mir.«
Und ob ich ihm glaubte! Für Tornhill war die Sachlage im Grunde ganz einfach. Er wusste ebenso gut wie ich, welche Gewalten in dem Buch schlummerten und welchen Schaden der verrückte Magier mit dieser Macht anrichten konnte. Er konnte sich zum Herrscher über Länder oder Kontinente aufschwingen; vielleicht sogar der ganzen Welt. Es war eine ganz einfache Rechnung – Howards, Priscyllas und mein Leben gegen das von Tausenden. Tornhill blieb gar keine andere Wahl, als mich lieber zu erschießen, ehe er das NECRONOMICON aushändigte.
Die Gänge waren menschenleer und nirgendwo bot sich eine Gelegenheit, Tornhill zu überrumpeln.
Er hatte dem Bobby vor Rowlfs Krankenzimmer Befehl erteilt, niemanden zu Rowlf vorzulassen, nicht einmal die Ärzte.
Immer wieder hatte ich auf dem Weg zum Ausgang auf ihn eingeredet, mich wenigstens mit Necron verhandeln zu lassen – vergebens. Tornhill reagierte gar nicht mehr darauf.
Wir bogen auf den breiten, von Dutzenden von Gaslampen taghell erleuchteten Hauptkorridor ein. Ich wollte die Haupttreppe ansteuern, aber Tornhill bugsierte mich mit unsanften Stößen seines Pistolenlaufes nach rechts, auf eine kleine, versteckte Tür zu.
»Wir nehmen den Lieferanteneingang«, sagte er. »Mir ist wohler, wenn ich allein mit Ihnen bin. Sie könnten auf dumme Gedanken kommen, wenn zu viele Menschen in der Nähe sind, Craven.«
Gehorsam öffnete ich die Tür und trat hindurch. Dahinter lag ein muffig riechendes Treppenhaus. Eine einfache Metalltreppe führte in waghalsigen Windungen in die Tiefe; einen Luxus wie Lampen gab es hier nicht und die einzige Helligkeit kam durch schmale, in die Südwand eingelassene Fenster.
Etwas war nicht so, wie es sein sollte.
Ich konnte das Gefühl nicht in Worte kleiden. Es war das gleiche, unheimliche Etwas, das ich in der Zelle gespürt hatte, etwas Fremdes und Lauerndes, das sich in den Schatten zu verbergen schien und uns aus unsichtbaren Augen anstarrte. Unwillkürlich blieb ich stehen.
»Weitergehen!«, fauchte Tornhill.
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