Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
sagte ich heftig. »Und nichts – «
Kilian unterbrach mich mit einer ärgerlichen Geste. »Ratten!«, sagte er abfällig. »Ratten leben unter der Erde und fressen tote Dinge und Abfälle. Die anderen sind Ratten. Die unten in der Stadt. Und am Friedhof. Sollte nicht über Dinge reden, von denen er nichts versteht, der junge Geck.«
Ich schluckte, löste mit einer fast schuldbewussten Geste die Hand vom Griff des Stockdegens und sah mich noch einmal um. Aber die Ratte war verschwunden und das leise Rascheln, das ich jetzt noch hörte, war nur das Geräusch des Windes, der im Gras spielte.
Für endlose Augenblicke kreisten meine Gedanken fast ziellos. Ich wusste nicht zu sagen, was ich erwartet hatte, als ich in das Tor trat – einen halb schwachsinnigen Alten und ein sonderbares Hünengrab jedenfalls nicht. Aber es war auch bestimmt kein Zufall, dass das Tor ausgerechnet hier endete. Dann fiel mir etwas auf, was er gesagt und was ich im ersten Moment fast überhört hatte.
»Welche anderen haben Sie gemeint, Kilian?«, fragte ich. »In welcher Stadt und auf welchem Friedhof?«
Kilian blinzelte mich aus seinen entzündeten roten Augen an.
»Muss schon ein großes Geheimnis sein, wenn die grauen Herren einen schicken, der nichts weiß«, sagte er.
Allmählich war mein Vorrat an Geduld erschöpft. »Zum Teufel, niemand hat mich geschickt«, sagte ich grob. »Ich bin -«
Hinter mir erscholl ein halblautes Quieken. Ich brach mitten im Satz ab, fuhr herum und unterdrückte im letzten Moment den Impuls, abermals nach dem Stockdegen zu greifen.
Die Ratte hockte zwischen den beiden vorderen Stützpfeilern des Hünengrabes. Sie saß ganz ruhig da und betrachtete mich aus ihren kleinen, von boshafter Intelligenz erfüllten Augen. Ich schluckte ein paarmal, trat unsicher auf der Stelle und wandte mich wieder an Kilian.
Der Alte grinste dämlich. »Da staunt er, der junge Geck«, kicherte er. »Ist nicht gut, die grauen Herren zu verspotten. Sind gekommen, um uns zu warnen. Er täte besser daran, auf sie zu hören, denn sie sind klug.«
Nervös fuhr ich mir mit der Zungenspitze über die Lippen.
»Warnen?«, fragte ich. »Wovor?«
Kilian antwortete auf seine gewohnte Art – mit dem dusseligen Kichern und einem Kopfnicken. »Vor den Dingen unter der Erde«, sagte er schließlich.
»Dinge unter der Erde?« Ich wurde hellhörig. »Was meinen Sie damit? Was für Dinge?«
»Böse Dinge«, antwortete Kilian gewichtig. »Oh ja, sie wissen es, die grauen Herren. Es gibt schlimme Dinge unter der Erde, die alt sind. Ist nicht gut für Menschen, sich damit abzugeben.« Er seufzte. »Aber sie tun es.«
»Wer?«, hakte ich nach.
Diesmal zögerte Kilian. Einen Moment lang blickte er die Ratte hinter mir an, als bitte er sie um Erlaubnis, weitersprechen zu dürfen, dann nickte er abermals, drehte sich um und deutete mit einer dürren Hand den Hügel hinauf.
»Die anderen«, sagte er. »Weiß nicht, ob es gut ist, den Jungen hinzubringen. Könnte zu Schaden kommen.«
»Vielleicht überlassen Sie das mir«, entgegnete ich gereizt.
Kilian grinste dämlich, drehte sich vollends herum und begann, den Hügel hinaufzuschlurfen. Trotz seiner gebrechlichen Erscheinung ging er dabei so rasch, dass ich mich beeilen musste, ihn einzuholen, ehe er die Hügelkuppe überschritten hatte.
Ein kühler, nach Salzwasser riechender Wind schlug uns entgegen, als wir den Hang erklommen hatten, und im Süden glitzerte die blaugraue Unendlichkeit des Ozeans. Ich blieb stehen, sah mich neugierig um und deutete schließlich auf die Hand voll Häuser, die eine knappe Meile unter uns lagen und sich wohl einbildeten, ein Ort zu sein. »Was ist das?«, fragte ich.
»St. Aimes«, antwortete Kilian.
Seine Worte hätten mich nicht überraschen dürfen; aber sie taten es. St. Aimes – das war der Ort, zu dem wir Lady Audley hatten begleiten sollen, ehe dieser ganze Wahnsinn begann. Der Ort, auf dessen Friedhof ihre Nichte begraben lag. Der Kreis begann, sich zu schließen.
Und trotzdem – während ich neben Kilian den Hang hinabging, hatte ich plötzlich das sichere Gefühl, bisher nur einen Zipfel des wahren Geheimnisses in Händen zu halten …
Schon von weitem hatte das Haus sonderbar ausgesehen. Eingepfercht wie ein edles Rennpferd zwischen Ackergäulen erhob es sich wie ein Fremdkörper zwischen den schmalbrüstigen, schäbigen Mietskasernen, die das Straßenbild in diesem Teil der Stadt bestimmten. Seine Fassade aus weißem Marmor musste
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