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Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe

Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe

Titel: Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dieses geheimnisvollen Schiffes stand, hatte es wenig Sinn, sein Misstrauen zu wecken.
     
    Das Messer fühlte sich kalt in ihrer Hand an, kalt und glatt wie Eis und sonderbar schwer; und obwohl die schmale, auf beiden Seiten geschliffene Klinge noch immer sorgsam unter einem Streifen dunklen Stoffes verborgen war, damit sich kein Lichtstrahl auf dem Stahl brach und sie etwa im letzten Moment verriet, glaubte sie den Metallgeschmack auf der Zunge zu fühlen.
    Sie wusste, dass sie sterben würde. Die Klinge unter ihrer Schürze, um die sich ihre rechte Hand mit fast verzweifelter Kraft krallte und die für einen anderen bestimmt war, würde auch sie töten.
    Aber das war ihr egal. Sie war ohnehin schon tot. Sie war vor drei Tagen gestorben, innerlich, und dass sie noch weiterlebte und atmete und sprach und dachte, war eigentlich nur noch ein bloßer Reflex, ein blindes Weiterfunktionieren ihres Körpers ohne Sinn und Zweck. Sie war gestorben, als sie das kleine Zimmer unter dem Dach ihres Hauses betreten und Jennifers Bett leer vorgefunden hatte. Als sie begriffen hatte, was das unbenutzte weiße Laken bedeutete. Ihr Leben hatte jeden Sinn verloren, im gleichen Augenblick, in dem sie ans Fenster getreten war und den Vollmond wie ein höhnisch blinzelndes Auge am Himmel stehen gesehen hatte.
    Seitdem war sie tot, aber niemand hatte es bemerkt; niemand aus der Stadt, keiner ihrer Nachbarn und Freunde, keiner von ihnen, nicht einmal ihr eigener Mann, den sie seit diesem Moment mit der gleichen Inbrunst hasste, wie sie ihn all die Jahre zuvor geliebt hatte. Etwas in ihr war gestorben, und wenn sie jetzt noch weiterlebte, dann nur zu dem einzigen Zweck, Rache zu üben. Sie würde McGillycaddy töten. Erst ihn, dann James, den Mann, – selbst in Gedanken weigerte sie sich jetzt, ihn weiter als ihren Mann zu bezeichnen, geschweige denn als Jennifers Vater – den Mann, der sein eigenes Fleisch und Blut verraten hatte, um es einer blasphemischen Gottheit zu opfern. Und dann so viele von ihnen, wie sie erwischen konnte, ehe sie sie überwältigten und töteten.
    Vielleicht – auch dessen war sie sich vollkommen im Klaren – würden sie sie auch nicht töten, sondern etwas Schlimmeres mit ihr tun, aber selbst das war ihr egal. Es gab nichts mehr von Wichtigkeit. Nichts außer dem Stück rasiermesserscharfem beißendem Stahl in ihrer Hand.
    Das Haus wirkte sonderbar kalt, als sie Jennifers Zimmer verließ und auf den schmalen, fensterlosen Korridor hinaustrat. Unten, in der Stube, hörte sie James mit den anderen reden, aber sie achtete nicht auf die Worte, denn auch sie hatten keine Bedeutung mehr, sondern ging mit ruhigen Schritten ins Schlafzimmer hinüber und betrachtete sich noch einmal kritisch in dem großen Spiegel, der neben dem Bett aufgestellt war.
    Es war ein kostbarer Spiegel, in goldbemalte Holzschnitzereien gefasst und aus dem allerfeinsten Kristallglas geschliffen. Wie jedes Teil hier im ganzen Haus hatte sie ihn mit großer Sorgfalt und Liebe ausgewählt und wie alles in diesem Haus war er etwas, um das sie die meisten anderen Frauen beneidet hätten. Bis vor drei Tagen war er ihr ganzer Stolz gewesen.
    Jetzt war das alles unwichtig geworden.
    Kritisch musterte Several Borden ihre Erscheinung. Nein, es fiel nicht auf, dass sie die rechte Hand unter der Schürze trug. Sie hatte ihr bestes Kleid angezogen, wie immer, wenn sie zu einer Versammlung gingen, dazu eine Schürze aus Brüsseler Stickerei, über der der Schal wie ein modisches Accessoire wirkte; nicht wie das Versteck, in dem sie den tödlichen Dolch trug. Niemand würde etwas merken.
    Und auch ihr Gesicht wirkte gefasst und glatt und schön wie immer. Für ihre vierzig Jahre war sie noch immer eine sehr schöne Frau. Es war kein Wunder gewesen, dass sie einen der reichsten Männer des Ortes hatte heiraten können. Es war ihr auch ganz selbstverständlich vorgekommen, ein Leben in einem – wenn auch bescheidenen – Luxus und frei aller Sorgen führen zu können. Bis jetzt. Bis zu jenem schrecklichen Moment vor drei Tagen, in dem sie begriffen hatte, wie furchtbar hoch der Preis war, den sie letztendlich dafür zahlen musste.
    Langsam wandte sie sich um, schloss die Schlafzimmertür hinter sich und wandte sich zur Treppe. Sie hörte das Geräusch der Tür, kurz bevor sie die Treppe hinuntergekommen war, und als sie die Stube betrat, sah sie gerade noch das geschauspielerte Lächeln auf James’ Zügen erlöschen, mit dem er den letzten Besucher

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