Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
Eitelkeit hat Sie verraten, Tergard. Sie sollten Ihren Logenring nicht in aller Öffentlichkeit tragen.«
Tergard zog die Brauen zusammen, starrte einen Moment auf seine rechte Hand mit dem weiß-roten Ring, der überdeutlich das Symbol der Tempelherren – ein gleichschenkeliges rotes Balkenkreuz auf weißem Grund – zeigte, und seufzte hörbar.
»Mein Kompliment, Mister Craven«, sagte er. »Ich dachte wirklich nicht, dass Sie von der Bruderschaft wüssten.«
»Ich weiß noch viel mehr, Tergard«, sagte ich zornig. »Aber leider nicht genug. Was bedeutet das alles hier? Diese so genannte Garnison ist so wenig eine Niederlassung der niederländischen Armee wie Sie ein Offizier oder De Cruyk ein holländischer Kapitän ist! Was bedeutet das alles?«
»Warum warten Sie nicht ab, Craven?«, fragte Tergard trotzig. »Möglicherweise erfahren Sie alles noch eher, als Ihnen lieb ist, Sie jämmerlicher Narr.«
Seine Worte erschöpften meine Geduld endgültig. Ein anderer an meiner Stelle hätte Tergards blödes Grinsen jetzt vielleicht mit dem Gewehrlauf beendet, aber ich wusste eine bessere Methode. Das, was ich vom ersten Moment an hätte tun sollen, statt meine Zeit damit zu vertrödeln, mich mit Tergard zu streiten.
Mit aller hypnotischen Macht schlug ich zu.
»Sie werden mir jetzt alles sagen, Tergard«, sagte ich leise und mit der monotonen, fast ausdruckslosen Stimme, die die suggestive Macht meines geistigen Angriffes noch verstärkte. Ich sah den Schrecken in Tergards Gesicht, als er begriff, was ich tat. Dann erschlafften seine Züge.
»Sie werden mir erzählen, was auf dieser Insel vorgeht!«, befahl ich. »Was stellt diese so genannte Garnison dar? Was wollen Sie hier? Was zum Teufel interessiert die Tempelherren an einer Gewürzinsel am Ende der Welt?«
»Nichts, was Sie auch nur das Geringste anginge, mein Junge«, sagte Tergard ruhig.
Es dauerte fast eine Sekunde, bis ich begriff.
Die Antwort, die ich bekommen hatte, war ganz und gar nicht die, die ein Mann gegeben hätte, der unter meinem hypnotischen Bann stand.
Aber das tat er auch nicht.
Sein Schrecken, seine plötzliche Resignation, das scheinbare Nachgeben, selbst das so typische Erschlaffen seiner Gesichtszüge, das alles war nichts als eine Täuschung gewesen. Tergard war meinem geistigen Angriff keine Sekunde erlegen. Dass er so tat als ob, war nur eine weitere Bosheit, um mich noch einmal in Sicherheit zu wiegen, eine Sicherheit, in der er mich nur umso härter treffen konnte.
Ich fühlte seinen Gegenangriff kommen, aber mir blieb nicht einmal Zeit, auch nur den Versuch einer Gegenwehr zu starten. Tergards Bewusstsein fiel über mein Denken her wie ein hungriger Löwe über ein Kaninchen und löschte es aus.
Der letzte Gedanke, den ich hatte, war der, dass ich wirklich zu der Kategorie von Menschen zählte, über die Tergard vor Stundenfrist so ausgiebig philosophiert hatte.
Zu den Idioten.
Man musste schon ein kompletter Idiot sein, sich auf einen geistigen Zweikampf mit einem Master des Tempelordens einzulassen …
Die Höhle war so groß, als wäre der Berg über ihren Köpfen nur eine dünne Schale, und von blutig rotem, flackerndem Licht erfüllt. Mörderische Hitze lag wie der erstickende Griff einer unsichtbaren Riesenfaust in der Luft, ließ die Konturen aller Dinge, die weiter als vier, fünf Schritte entfernt waren, verschwimmen und Eldekerks Hals schmerzen. Selbst der Felsen, hinter dem er lag, war glühend heiß.
Seine Augen tränten. Vergeblich versuchte er, Einzelheiten dessen zu erkennen, was sich unter ihm und Shannon abspielte. Da waren Menschen, sehr viele Menschen, aber sie waren nur als verschwommene Umrisse zu erkennen, denn das hintere Viertel der Höhle war von weiß glühender Lava erfüllt, dem Blut des Berges, das hier wie in einer gewaltigen steinernen Wunde zutage trat.
Er begriff nicht, was er sah.
Und selbst wenn er es begriffen hätte, hätte er sich geweigert, es zu begreifen.
Unter ihm starben Menschen.
Eldekerk konnte gegen das grelle Licht der glühenden Lava nicht ausmachen, was im Einzelnen geschah, aber das Wenige, was er sah, war schlimm genug.
Da waren die Betenden: eine Gruppe von zwanzig, vielleicht mehr Gestalten, die in einem unregelmäßigen Kreis am Rande des Lavasees hockten und immer wieder dieses fürchterliche, monotone Thul Saduun! Thul Saduun! hören ließen, wobei sie sich im Takt ihres eigenen Gesanges hin und her wiegten.
Vor ihnen, im gedachten Schnittpunkt des
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