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Hexer-Edition 13: Ein Gigant erwacht

Hexer-Edition 13: Ein Gigant erwacht

Titel: Hexer-Edition 13: Ein Gigant erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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als wäre nichts geschehen. Die Glut in seinen Augen erlosch endgültig und dann griff er mit einer schwerfälligen, seltsam eckigen Bewegung nach der Decke und schwang sie sich wieder um die Schultern.
    Wie lange ich noch reglos dastand und ihn anstarrte, während meine Gedanken wild im Kreise rasten, weiß ich nicht mehr. Er hatte mich töten wollen, und nun? Mein Verstand wollte sich nicht damit abfinden, was meine Augen sahen. Drohte von einer anderen Seite Gefahr, die ich nicht bemerkt hatte?
    Ich wirbelte herum, drehte mich auf dem Absatz im Kreis. Und dann fiel auch mein Blick hinaus auf das endlose, sandige Meer.
    Ein gellender Schrei brach über meine Lippen. Instinktiv riss ich die Arme schützend vor das Gesicht, taumelte zurück und stürzte in den Sand, kroch hastig noch weiter zurück und kam stolpernd wieder auf die Beine.
    Es war ein Bild wie aus einem qualvollen Albtraum; schrecklicher als alles, was ich bisher je erblickt hatte.
    Die endlose Wüstenlandschaft war übersät mit Leichen.
    Ich schlug die Hände vor die Augen, doch mein Blick schien durch Fleisch und Knochen hindurch zu gehen und das Bild brannte sich mit schrecklicher Klarheit in mein Gedächtnis und ließ mich wie von Sinnen schreien.
    So weit mein Blick auch reichte – überall, bis zum fernen Horizont und wahrscheinlich noch darüber hinweg, lagen die blutigen Körper von Indianern in voller Kriegsbemalung und Weißen in der Uniform der Kavallerie der Vereinigten Staaten; Körper, die von Speeren und Pfeilen, von Säbeln und Kugeln getroffen worden waren, wie von einem schrecklichen Sämann über den weißen Sand verstreut. Körper mit gebrochenen Augen und weit aufgerissenen Mündern, aus denen der klagende Laut wehte.
    Ein blutiges Schlachtfeld.
    Little Bighorn.
    Ich wusste es im selben Moment, als ich die Uniformen erkannte, wusste es mit lähmender Gewissheit, obwohl ich nie eine Illustration oder eine Fotografie des schrecklichen Massakers gesehen hatte, dass dies die Vision von Little Bighorn war, dem schwärzesten Kapitel der amerikanischen Geschichte. Eine Vision!
    Und mit dieser Erkenntnis verlor der Schrecken seine Macht. Es konnte nicht Wirklichkeit sein! Ich musste dies alles … träumen!?
    Mit einem Ruck fuhr ich herum. Vor mir erstreckte sich das Lager – und nichts hatte sich verändert! Nicht einer der über zwanzig Männer war durch mein Schreien erwacht. Und dann wanderte mein Blick zu meiner Schlafstatt und ich sah – mich selbst, in eine wollene Decke gehüllt und friedlich schlafend!
     
    Es war ein prächtiger Tag im Juni des Jahres 1876. Die Sonne brannte heiß vom Himmel und ließ die Luft flirren, aber den Mann, der zusammengesunken im Zentrum der Siedlung saß, konnte sie nicht wärmen. Sein Körper war kalt wie die Nacht und es war eine Kälte, die von innen kam, aus seiner Seele. Seine Augen, rot entzündet schon und tränend, blickten auf zu dem fernen, gleißenden Gott am Firmament, starrten in die Sonnenglut, ohne sich auch nur einmal zu schließen.
    Sein Rücken, an den aufgestellten Stamm einer frisch gefällten und in vier Farben bemalten Pappel gelehnt, war übersät mit schorfigen Narben, nicht wenige erst notdürftig verheilt. Von seinen Armen rann Blut in schweren, dunklen Tropfen und versickerte im harten Boden.
    Sitting Bull war an diesem Tage dem Tod näher als je zuvor. Und doch hatte er die Qualen selbst erwählt.
    Das Ritual, dem er sich unterzog, machte ihn bereit für den Sonnentanz, für das Zwiegespräch mit Wakan Tanka, dem Großen Geheimnisvollen; seinem Gott.
    Immer wieder formten seine trockenen, gesprungenen Lippen das Bittgebet, sangen trotz der Schmerzen die Litanei, die nur die Götter verstehen konnten. Er spürte kaum, wie sein Adoptivbruder Jumping Bull die letzte der Wunden riss, die auf beiden Armen eine blutige Spur bis hinauf zur Schulter zogen, wie der Junge sich wieder erhob und die nadelspitze, blutbefleckte Ahle gegen die Sonne reckte.
    Erst als ihn Jumping Bull sanft an der Brust berührte, löste er seinen starren Blick von der gleißenden Scheibe am Himmel und kam taumelnd auf die Beine. Mit unbewegtem Gesicht fuhr er in seinem klagenden Gesang fort.
    Für einen Moment schien es, als würde der zu Tode erschöpfte Mann das Gleichgewicht verlieren, aber dann fing er sich wieder und begann, auf den Zehen auf und nieder zu wippen.
    Der Sonnentanz hatte begonnen und Sitting Bull tanzte ihn auf einem scharlachroten Teppich aus seinem eigenen Blut.
    Die Priester,

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