Hexer-Edition 13: Ein Gigant erwacht
schmalen Grat zwischen Vernunft und Wahnsinn, dann rissen mich Bills Schläge endgültig in die Wirklichkeit zurück. Es war wie das Erwachen aus tiefer Ohnmacht.
»Ganz ruhig, Robert. Alles ist gut.«
Die Worte kamen aus dem Nichts und waren von solch hypnotischer Kraft, dass meine rasenden Gedanken wie mit einem Ruck zum Stillstand kamen.
Es war Shadows Stimme, die ich hörte, und als sich die dunklen Nebel hoben, erkannte ich ihr Gesicht dicht vor dem meinen. Ich wusste nicht, was sie tat, doch ahnte ich jetzt, dass mich nicht allein Bills Ohrfeigen vor dem Irrsinn bewahrt hatten.
»O mein Gott!« Shadow schrie auf und zog ihre Geistfühler in blinder Hast zurück. Ihr Gesicht verschwand und als ich noch immer benommen nach unten blickte, sah ich, wie sie zu Boden sank. Sie konnte nur für Sekunden mit meinem Geist verschmolzen gewesen sein, um ihn zu beeinflussen und zu beruhigen, und doch musste sie all meine Albträume, all den Schrecken der letzten Wochen in diesem Moment selbst durchlebt haben.
Jetzt war es an mir, ihr beizustehen. Ich streifte Bills Hände ab, ignorierte die Rufe und Fragen, die von allen Seiten auf mich eindrangen, und kniete neben Shadow nieder. Aber meine Hilfe war nicht notwendig. In dieser Sekunde schlug sie die Augen auf. Tränen rannen über ihre Wangen; ihr Blick flackerte.
»Warum … warum hast du mir nichts davon gesagt?«, flüsterte sie und in ihrer Stimme klang noch ein schwacher Abglanz des Grauens nach, das sie gesehen hatte.
Ich wischte ihr die Tränen mit dem Handrücken fort und sah sie fast schuldbewusst an. »Es waren Träume, Shadow; nur böse Träume. Bisher jedenfalls«, fügte ich hinzu und hob Sitting Bulls zerbrochenen Dolch vom Boden auf. »Jetzt sind sie … Wirklichkeit geworden.«
Ein kalter Wind kam auf und peitschte Myriaden von Schneeflocken gegen die nackten Steine und das verkrüppelte Baumgeflecht, das allein hier zu wachsen vermochte. Ein dumpfes Heulen erklang, als sich der Sturm in den bizarren, scharfkantigen Felsen fing, sich zu winzigen Strudeln sammelte und wieder auseinanderstob.
Das Land lag im Dämmerlicht; eine ewige Dämmerung, denn hier oben, nahe dem Gipfel des Little Rock, wurde es niemals richtig hell.
Dabei war, wie der Name schon sagt, der Berg nicht einmal sonderlich hoch. Und wenn auch die umliegenden Gebirgszüge unter der Hitze des Sommers glühten, so herrschten hier Kälte und Tod das ganze Jahr hindurch.
Die Weißen, von Mythen und Sagen unberührt, hatten dieses wohl einzigartige Phänomen als eine Laune der Natur abgetan und sich nicht weiter damit beschäftigt. Für sie zählte allein der Wert eines Landstrichs und der Little Rock konnte allenfalls mit Eis und Fels aufwarten.
Für die Indianer war der Berg heilig.
Ein böses Heiligtum, denn die Überlieferungen sprachen von Dämonen, die den Gipfel bewohnten. Dunkle, körperlose Schatten sollten dort hausen und die Seelen derer, die ihr Leben als Feiglinge im Kampf verloren, ewiger Qual preisgeben.
Doch selbst die bösen Geister hatten ihren Platz im Leben der Indianer und so war es bei den Stammeszauberern der umliegenden Völker Sitte, jedes Jahr zur Sommersonnenwende zum ewigen Eis des Little Rock zu ziehen und die Schatten der Toten über das Schicksal der Stamme zu befragen.
Die Zeit der Sonnenwende aber war noch nicht gekommen und die vermummte Gestalt, die sich taumelnd und am Ende ihrer Kraft durch den eisigen Sturm bewegte, war auch kein Medizinmann.
Immer wieder blieb die junge Squaw stehen, öffnete die Bärenfellkapuze einen Spalt und blinzelte hinaus in das wirbelnde, weiße Inferno. Schneekristalle fauchten heran, drangen durch den schmalen Spalt und stachen wie Dutzende kleiner Nadeln nach ihren Augen.
Die Squaw zog das Fell wieder zurecht und schloss für Sekunden die tränenden Augen. Sie wusste, dass es ihr Tod sein wurde, jetzt stehen zu bleiben und sich einfach in den Schnee sinken zu lassen. Sie wusste, dass sie gehen musste, und doch verweigerten ihr die Füße den Dienst, schlanke, zierliche Füße, die sie schon seit Stunden nicht mehr fühlen konnte in den steinhart gefrorenen Stiefeln aus Büffelhaut.
Monahseetah taumelte. Die steifen Finger konnten die Kapuze nicht mehr halten und der Sturm riss sie ihr in den Nacken und lieferte die junge Squaw den wütenden Gewalten aus.
Hart stürzte Monahseetah in den Schnee und versank darin wie in eisigem Wasser. Ihr langes schwarzes Haar wehte noch für Sekunden im Wind, dann hatte die
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