Hexer-Edition 13: Ein Gigant erwacht
Lächeln spielte um seine fleischlosen Lippen, als er die Hand zum Gruße hob. Wie aus dem Nichts war er neben Monahseetah erschienen, ohne dass sie sein Kommen bemerkt hatte. Die Squaw war so sehr verblüfft, dass sie vergaß, den Gruß zu erwidern.
Nach einer Weile senkte der Alte die knochige Hand wieder und wiegte langsam den Kopf; eine Bewegung, die unendlich mühsam erschien. »Ich wollte dich nicht erschrecken«, fuhr er mit einer Stimme fort, die gleichsam gebrechlich wie auch fest und energisch klang. »In der Einsamkeit vergisst man leicht die Gewohnheiten der Sterblichen.«
War die Stimme auch uralt, so klangen die Worte doch freundlich und warm und endlich erwachte Monahseetah aus ihrer Starre und senkte das Haupt vor dem Alten.
»Du bist Mazakootemane, Schamane vom Stamm der Sioux«, flüsterte sie ehrfürchtig.
»Ich bin es«, entgegnete der alte Zauberer. »Und du bist Monahseetah, die Enkelin von Ta-tan-ka I-yota-ke, den man Sitting Bull nennt.«
»Woher weißt du …«
Der Alte lächelte wieder. »Wäre ich Mazakootemane, wenn ich es nicht wüsste?«, fragte er und seine Stimme klang fast amüsiert. »Dein Weg zu mir war weit und beschwerlich, Monahseetah, und bist du auch eine Squaw von nur siebzehn Jahren, so hast du doch den Mut und das Herz eines Kriegers.«
Monahseetah errötete. Dieser alte Mann sprach leichtfertig aus, was sie sich innerhalb des Stammes immer gewünscht hatte: mehr zu sein als nur eine Squaw. Als Enkel eines Magiekundigen wie Sitting Bull wäre sie eingeweiht worden in die Geheimnisse der Götter. Als Enkelin galt sie nichts, obwohl auch in ihren Adern das Blut Sitting Bulls floss.
»Ich danke dir, Mazakootemane«, sagte sie. »Ich bin gekommen, um dir eine Bitte vorzutragen.«
»Auch das weiß ich«, unterbrach sie der Schamane. »Doch gehen wir in meine Höhle, um zu sprechen. In meinem Alter wird es schwer, einen Naturzauber lange Zeit aufrechtzuerhalten, und ich spüre, wie der Schnee sein Gebiet zurückfordert.« Er deutete erst auf die unsichtbare Wand, hinter der das Toben und Wirbeln der weißen Flocken noch zugenommen hatte, dann auf den niedrigen Eingang zu seiner Unterkunft und setzte sich mit schwerfälligen Schritten in Bewegung.
Monahseetah folgte ihm in respektvollem Abstand, als der uralte Magier die Höhle betrat. Niemand wusste, wie alt Mazakootemane wirklich war, doch die Überlieferungen sprachen von über fünfhundert Sommern. Es mochte Legende sein, natürlich, aber in diesem Augenblick zweifelte die junge Squaw kaum mehr daran.
In der Höhle war es finster wie in einer Gruft; nur die Glut eines niedergebrannten Holzfeuers erhellte eine Ecke des kleinen Raumes. Mazakootemane trat langsam auf die glimmenden Scheite zu, legte Holz nach und murmelte ein einziges, unheimlich klingendes Wort. Sofort loderte die Flamme hoch und riss den Raum aus der Dunkelheit.
Er war nur spartanisch eingerichtet: ein Lager aus gewebten Decken und Büffelhaut, vier, fünf Krüge mit Wasser und einem merkwürdigen weißen Pulver, zwei grobe Matten auf dem steinigen Boden. Doch was der Einrichtung an Reichtum fehlte, besaßen die Wände im Übermaß. In Rot, Schwarz und Blau, den Farben des Feuers, der Erde und des Wassers, bedeckten bizarre Schriftzeichen die natürlich gewachsenen Felsen. Es war nicht die Sprache des Bildes, die Monahseetah kannte, und so konnte sie nicht verstehen, welche Botschaften der Zauberer hier hinterlassen hatte.
Der Himmel selbst, für den keine der Farben stand, war durch ein Deckengemälde vertreten, wie die junge Squaw noch keines zuvor gesehen hatte. Auf schwarzem Grund glitzerten die Abbilder der Sterne wie kleine, funkelnde Diamanten. Viele der Punkte hatte der alte Magier mit Strichen verbunden und mit den Zeichen der einzelnen Götter versehen.
Es war ein seltsames Bild, das sich der jungen Squaw bot; so fremd und doch auf rätselhafte Weine vertraut.
Der Alte wartete geduldig, bis Monahseetah den Blick von den Wundern seiner Höhle gelöst hatte. Dann ließ er sich auf eine der Matten niedersinken und bedeutete ihr, gleichfalls Platz zu nehmen.
»Du bist hier, um die Geheimnisse der Magie zu erlernen«, stellte er dann fest. »Du haderst mit deinem Schicksal, eine Frau zu sein, Monahseetah. In deinen Adern fließt das Blut der Schamanen vom Berg der Weißen Götter und dieses Erbe lässt deine Seele nicht ruhen.«
»Es ist, wie du sagst«, antwortete Monahseetah leise. Sie wusste, dass das Schicksal ihres ganzen weiteren
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