Hexer-Edition 14: Necron - Legende des Bösen
Er lächelte entschuldigend. »Wenn die Frage nicht zu indiskret ist.«
Jeden anderen hätte Balestrano scharf zurechtgewiesen. Hayworthy nicht. Stattdessen lächelte er wehmütig, drehte sich wieder herum und starrte auf den mit Trümmern und Sand übersäten Hof der Burg hinab.
»Woran ich denke«, murmelte er. »Vielleicht an … an eine Sünde.«
»Eine Sünde?« Hayworthy runzelte die Stirn.
»Ich frage mich, ob ich vielleicht Kredit habe, dort oben«, fuhr Balestrano mit einer Handbewegung zum Himmel fort. »Genug Kredit, mir eine Sünde leisten zu können.«
»Wer von uns ist schon frei von Sünde?«
»O nein«, antwortete Balestrano ruhig. »Ich meine keine Kleinigkeit, Bruder Hayworthy. Ich spreche nicht von den lässlichen Gefühlen Bruder von Schmids dem weiblichen Geschlecht gegenüber oder …«, er lächelte, »… deinen kleinen Betrügereien beim Kartenspiel, mit denen du deinen Servanten ihren sauer verdienten Sold abnimmst.« Plötzlich wurde er wieder ernst. »Ich meine eine Todsünde, Bruder. Ich frage mich, ob in dem großen Hauptbuch dort oben genug Guthaben auf meinem Konto ist, mir die Sünde des Selbstmordes zu verzeihen.«
Hayworthy erbleichte. »Das … das darfst du nicht einmal denken«, flüsterte er.
Aber Balestrano fuhr fort, ohne auch nur auf seine Worte zu reagieren. Vermutlich hatte er sie gar nicht gehört. »Vielleicht kommt es auch schon gar nicht mehr darauf an«, sagte er leise. »Ich habe den Tod von fünfhundert guten Männern zu verantworten. Glaubst du, dass es ein Unterschied ist, Bruder? Fünfhundert oder fünfhunderteins?«
»Sprich nicht so!«, keuchte Hayworthy. »Das darfst du nicht. Dich trifft keine Schuld. Nicht die mindeste!«
»O doch, Bruder«, widersprach Balestrano. »Aber wahrscheinlich ist es längst egal, was ich denke oder tue. Ich glaube, es liegt nicht mehr in meiner Macht, irgendetwas zu ändern. Vielleicht hat es niemals darin gelegen. Alles wird so kommen, wie es kommen soll.« Er seufzte, wandte sich wieder zu Hayworthy um und wechselte abrupt das Thema. »Geh und hole Bruder Botho«, sagte er. »Und die beiden anderen. Und beeilt euch.«
Hayworthy starrte ihn noch einen Sekundenbruchteil durchdringend an und Balestrano spürte genau, dass der kleinwüchsige Schotte noch etwas sagen wollte, irgendetwas Wichtiges, ganz Bestimmtes. Aber dann tat er es nicht, sondern drehte sich mit einem Ruck um und beeilte sich, Balestranos Befehl auszuführen.
Balestrano ging mit müden, schleppenden Schritten in das halb zerstörte Gebäude zurück. Von Schmid und Hayworthy hatten aufgeräumt, was noch aufzuräumen war, und der praktisch veranlagte Schotte hatte sogar den Tisch wieder repariert, sodass er – wenn auch ein wenig schräg – wieder auf vier Beinen stand.
Auf seiner Platte lag alles, was von Balestranos Habe übrig geblieben war: das kleine Kästchen mit dem schwarzen Stein, das er aus der versiegelten Kammer tief unter dem Pariser Templerkapitel mitgebracht hatte. Es war der einzige Teil seines Gepäckes gewesen, den der Sturm nicht gepackt und davongeschleudert hatte, und es war sicherlich kein Zufall.
Balestranos Hände begannen zu zittern, als er sich über den Tisch beugte und das winzige Kästchen aufklappte. Der schwarze Stein, der darin lag, schien ihn höhnisch anzugrinsen. Mit einem Male war ihm kalt, entsetzlich kalt. Und er wusste, dass es nicht nur Einbildung war, nicht nur Angst, sondern Realität. Die Temperaturen im Zimmer sanken rapide, bis Balestranos Atem als grauer Dampf vor seinem Gesicht erschien und seine Finger klamm und steif wurden. Die Hölle war kalt. Er war vielleicht der einzige Mensch auf der Welt, der das wirklich wusste.
Für endlose Minuten stand Balestrano einfach so da, in fast absurder Haltung, mitten in der Bewegung erstarrt, dann erwachte er mit einem Ruck aus seiner Lähmung, nahm den schwarzen Stein aus dem Kasten und verbarg ihn in seiner rechten Faust. Er war so kalt, dass seine Haut an der Oberfläche festklebte und ihm der Schmerz die Tränen in die Augen trieb. Aber er öffnete die Hand nicht. Er hätte sie sich eher abhacken lassen, als es zu tun.
Nach einer Weile näherten sich Schritte dem Haus und kurz darauf erschienen Hayworthy, von Schmid, van Velden und Bruder André. De la Croix’ Gesicht war bleich vor Entsetzen, während in van Veldens Augen der Funken beginnenden Wahnsinns zu glimmen schien. Und ihnen beiden – nein, verbesserte sich Balestrano in Gedanken: allen vieren –
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