Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!
Doktor Frankenstein?«
Ich.
Nur dieses eine Wort – nein, nicht Wort, denn ein Wort setzt Sprache voraus, Kommunikation, eine komplexe Welt voller Dinge, die da sind und begriffen und beschrieben werden wollen. Nur dieser eine Begriff.
Ich.
Ein Satz, den ich einmal in der Schule gehört und danach mehrmals gelesen hatte, ohne seinen Sinn wirklich zu erfassen: cogito, ergo sum.
Ich denke, also bin ich.
War ich?
Erinnerungsfetzen:
Szenen aus meiner Jugend, die ich längst vergessen zu haben glaubte. Bilder aus meiner Schulzeit, aus den Jahren danach in den New Yorker Slums, Tante Maudes sanftes, verständnisvolles Lächeln, ihr Stirnrunzeln, wenn ich etwas getan hatte, das ihr nicht gefiel, meine erste Begegnung mit Howard, mit Priscylla und Shadow, Grays bedauerndes Achselzucken während der Verhandlung, der Blick des Henkers, in dem kein Bedauern, nicht einmal geschauspielertes Mitleid lag – alles wirbelt durcheinander, kommt in falscher Reihenfolge, manchmal gleichzeitig. Dann, mit der Wucht eines Hammerschlages:
»Henker von London, tu deine Pflicht«, und der entsetzliche Schmerz, als ich in die Tiefe stürze und das Gewicht meines eigenen Körpers mein Genick bricht.
Ich bin tot.
Und doch …
Cogito, ergo sum.
Ich denke.
Ich BIN.
Aber wieso …?
Vor wenigen Minuten hatte Big Ben Mitternacht geschlagen und obwohl sie Meilen um Meilen von Londons altehrwürdigem Zentrum entfernt waren, war der dumpfe Klang der Glocke fast überlaut an Howards Ohr gedrungen. Selbst jetzt, wo er schon längst verklungen war und die einzigen Geräusche seine, Rowlfs und Viktors knirschende Schritte auf dem Kiesweg waren, glaubte er das vibrierende Dröhnen noch immer zu hören.
Er lächelte nervös. Mitternacht auf einem Friedhof, dachte er. Selbst für einen Mann wie ihn, der mit dem Übernatürlichen so viel Erfahrung hatte, hatte der Gedanke etwas Bedrückendes.
Und er war nicht der Einzige, der mit solcherlei Gefühlen zu kämpfen schien. Auch Frankenstein war immer stiller geworden und selbst Rowlf, den normalerweise nichts, was deutlich unter der Größe eines wütenden Elefantenbullen lag, aus der Ruhe zu bringen vermochte, blickte immer öfter nach rechts und links, wo sich die Schatten der kleinen, meist verwahrlosten Grabsteine als bizarre Umrisse in der Dunkelheit abzeichneten.
Howard war mehr als nur erleichtert, als sie endlich ihr Ziel erreichten und der frisch aufgeschüttete Grabhügel vor ihnen lag. Mit einer Kopfbewegung gebot er den beiden anderen zurückzubleiben, ging vor dem einfachen Holzkreuz in die Hocke und schnippte sein Sturmfeuerzeug an. Die winzige, flackernde gelbe Flamme verbreitete gerade genug Licht, die Inschrift auf dem Kreuz zu lesen: Robert Craven.
Weiter nichts. Kein Datum, keine Widmung – sie hatten ihn verscharrt wie einen Hund, dachte er zornig. Nein – wie einen gemeinen Mörder, der er ja in den Augen der Öffentlichkeit auch war.
Er verscheuchte den Gedanken, richtete sich wieder auf und streckte die Hand nach der Schaufel aus, die Rowlf ihm hinhielt. Ohne ein weiteres Wort begannen sie zu graben, während Frankenstein mit ständig wachsender Nervosität in zwei Schritten Entfernung dastand und abwechselnd sie und die näher kriechende Dunkelheit des Friedhofes betrachtete.
»Verdammt steinig hier«, murrte Rowlf, stieß aber nichtsdestotrotz das Schaufelblatt nur umso wuchtiger in den Boden und warf eine Ladung Erde hinter sich, dass Frankenstein sich nur noch mit einem fast komisch anmutenden Hüpfer in Sicherheit bringen konnte.
Howard runzelte missbilligend die Stirn. »Lass das«, sagte er. »Wir müssen hinterher wieder alles zuschaufeln. Wenn jemand merkt, dass Roberts Lei … dass Robert nicht mehr da ist, verhaftet uns Cohen sofort.«
»Wahnsinn«, murmelte Frankenstein. »Das Ganze ist Wahnsinn. Es kann nicht gut gehen.«
Howard ignorierte ihn. Für die nächste Viertelstunde sprach keiner von ihnen ein Wort. Schweigend und ausdauernd schaufelten sie die frisch aufgeworfene Erde aus dem Grab, bis Rowlfs Spaten mit einem dumpfen Laut auf Holz stieß.
Howards Herz begann zum Zerreißen zu hämmern, während sie das Grab rings um den Sarg freilegten und die bereit liegenden Seile darunter durchzogen.
»Sie können ruhig mit zufassen«, sagte Howard, an Frankenstein gewandt. Der Arzt gehorchte, wenngleich sein Gesichtsausdruck dabei alles andere als begeistert war, und nach weiteren – diesmal sehr anstrengenden – Minuten hatten sie den
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