Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!
einfachen Fichtensarg keuchend aus dem Grab gehoben und neben der Grube abgesetzt. Er stand ein wenig schräg und trotz des sehr schlechten Lichtes kam Howard schmerzhaft zu Bewusstsein, wie schäbig er war – im Grunde nicht mehr als eine Kiste, auf die man sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, ein Kreuz einzubrennen. Der Deckel war lieblos daraufgenagelt worden. Einer der Nägel war krumm.
»Mach … ihn auf«, sagte Howard stockend. Seine Hände zitterten so heftig, dass er nicht einmal mehr die Kraft hatte, den Strick zu halten.
Rowlf nickte, bückte sich nach dem Brecheisen und schob das gebogene Ende unter die dünnen Bretter. Sie brachen wie Sperrholz.
Howard starrte den Sarg an, als wolle er ihn mit Blicken durchdringen. Obwohl Rowlf sich beeilte und den Deckel rücksichtslos zerfetzte, dauerte es ihm viel zu lange, bis er sich schließlich hob. Ungeduldig schob Howard seinen Diener zur Seite, beugte sich nach vorne, um besser sehen zu können – und fuhr mit einem überraschten Schrei zurück.
Der Sarg war leer. Auf dem billigen weißen Leinen lag nichts als eine Schütte Stroh, die in den Kleidern steckte, mit denen man Robert begraben hatte.
»Was ist das?«, fragte Frankenstein verstört. Er war auf die andere Seite des Sarges getreten und starrte nun mit kreidebleichem Gesicht auf das Stroh herab. »Wenn … das ein Scherz sein soll«, sagte er unsicher, »dann war es kein guter, Howard.« Sein Blick flackerte, während er abwechselnd den aufgebrochenen Sarg und Howard ansah.
»Das … das ist …« Howard sprach nicht weiter. Seine Stimme versagte ihm den Dienst. Plötzlich begann sich alles in seinem Kopf zu drehen. Cohen, Robert, die Gerichtsverhandlung, sein Streit mit Viktor – alles wirbelte durcheinander. Der Boden unter seinen Füßen schien zu schwanken.
»Das ist doch … das ist doch nicht möglich«, stammelte er.
»Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Mister Lovecraft«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Es ist sehr wohl möglich, wie Sie sehen.«
Howard erstarrte für einen Moment, dann fuhr er mit einem Schrei herum und prallte zum zweiten Male zurück.
Hinter ihm stand Inspektor Cohen. Aber das war es nicht, was ihn so überraschte – dessen Stimme hatte er erkannt, im gleichen Moment, in dem er die Worte gehört hatte.
Aber der Mann, der neben Cohen stand, war ungefähr der letzte Mensch auf der Welt, den er in diesem Moment und an diesem Ort zu sehen erwartet hätte.
»Gray?« keuchte er. »Sie?!«
Dr. Gray nickte. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck tiefer Trauer. »Ich fürchte, ja«, sagte er. »Es tut mir außerordentlich Leid, mein lieber Howard, aber Sie wissen, ich bin ein Mann des Gesetzes und was Sie hier tun, ist durch und durch ungesetzlich.«
Howard starrte ihn an. Er suchte vergeblich nach Worten, während er in Grays kalte, ausdruckslose Augen blickte.
Und dann, endlich, begriff er.
»Sie sind nicht Gray«, sagte er und fügte an Cohen gewandt hinzu: »Und Sie sind auch nicht Cohen.«
»Wie kommen Sie darauf, Howard?«, fragte Cohen freundlich.
»Wat soll’n dat heiß’n?«, erkundigte sich Rowlf, der bisher kein Wort gesagt hatte – stattdessen hatte er die Schaufel aufgehoben, um sie wie eine Keule zu halten.
»Das soll heißen, dass die beiden nicht die sind, für die wir sie bisher gehalten haben«, sagte Howard ruhig. »Sie sind nicht einmal Menschen, Rowlf.«
»Wie Recht Sie doch haben«, erklärte Gray fröhlich. »Nur fürchte ich, würde Ihnen niemand glauben – vorausgesetzt, Sie hätten Gelegenheit, Ihre Anschuldigungen irgendwo vorzubringen.«
»Die Sie nicht haben werden«, pflichtete ihm Cohen bei, griff unter seine Jacke und trat einen Schritt auf Howard zu.
Dann geschah alles unglaublich schnell. Howard schrie auf und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen auf den vermeintlichen Gray, während Rowlf mit einem ungeheuren Brüllen seine Schaufel schwang und Cohen das Blatt ins Gesicht schlug.
Ein heller, peitschender Ton erklang. Das Schaufelblatt verbog sich wie dünnes Blech und noch während Rowlf mit einem halb überraschten, halb schmerzhaften Keuchen zurücktaumelte, packte Cohen die Schaufel mit nur einer Hand und brach sie entzwei. Rowlf brüllte abermals, tauchte unter seiner zupackenden anderen Hand hindurch und versuchte Howard zu Hilfe zu eilen, der mit aller Kraft an Grays Händen zerrte, die sich wie stählerne Klammern – und nichts anderes waren sie ja auch – um seinen Hals gelegt hatten und
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