Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
zusammengekniffenen Augen zur Tür. Dort erklang jetzt auch das Schaben und Kratzen der dämonischen Pflanzen. Einige harte Schläge trafen die Tür. Das massive, dicke Eichenholz begann sich langsam zu biegen, als laste ein ungeheurer Druck auf ihm. Die Tür knirschte und ächzte; armlange Späne splitterten aus dem Holz. Mit einem gewaltigen Krachen riss das Türblatt der Länge nach auf. Ein handbreiter Spalt entstand, durch den sich vorsichtig einer der Äste vortastete.
»Wir müssen in die Bibliothek«, stieß Pri plötzlich hervor. Ihre Stimme klang monoton und leiernd, wie es der Art aller Beeinflussten entsprach, doch ich spürte, dass es nicht nur an der Trance lag, in die ich sie durch meine Hypnose gebracht hatte. Es war noch etwas anderes, das ich mir nicht erklären konnte; etwas wie das plötzliche Wissen um Dinge, über die sie von allein gar nichts wissen dürfte.
»Was meinst du?«, fragte ich alarmiert, immer wieder rasche Blicke in Richtung der zerstörten Tür werfend. Noch wagten sich die Pflanzenarme nicht in den Flur. Ich packte ihre Arme. »Was ist mit dir? Pri, was hast du?«
Ihr Blick war starr und ging durch mich hindurch; sie schien mich nicht zu sehen, obwohl ich direkt vor ihr stand. Ich schüttelte sie, um sie wieder zur Besinnung zu bringen. Mühelos löste sie sich aus meinem Griff und wandte sich ab, ohne mich auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Mit mechanisch wirkenden Schritten ging sie zur Treppe und stieg die Stufen hinauf. Ich ahnte, was sie vorhatte, hätte sie aber höchstens mit Gewalt aufhalten können. Zuerst aber wollte ich sehen, ob sich mein Verdacht bewahrheitete.
Am Ende der Treppe trat sie in den Korridor und von dort aus in die Bibliothek. Suchend blickte sie sich im Raum um. Die Wände wurden von deckenhohen Regalen eingenommen, auf denen sich Bücher stapelten. Größtenteils handelte es sich um Werke über Magie und Okkultismus, die Howard und mein Vater gesammelt hatten, darunter befanden sich zahlreiche seltene Exemplare und uralte Handschriften. Sammler hätten ein Vermögen dafür bezahlt, aber ich kannte die Gefahr, die von einigen der Schriften ausging, und dachte nicht im Traum daran, auch nur eines der Bücher zu verkaufen.
Unschlüssig verharrte Priscylla in der Mitte des Raumes und ließ ihren Blick umherschweifen. Sie bewegte sich mal in die eine, dann in die andere Richtung. Für Bruchteile von Sekunden war ihr Spiegelbild deutlich in der Fensterscheibe zu sehen.
Der Anblick traf mich wie ein Schlag und wahrscheinlich schrie ich nur deshalb nicht, weil ich viel zu erschrocken dazu war.
In der Scheibe war Pris Gesicht zu sehen, aber es war nicht das vertraute Gesicht des jungen Mädchens. Es war die eingefallene, mit narbenartigen Falten und Runzeln übersäte Fratze einer uralten Frau mit rot glühenden, hasserfüllten Augen.
Das Gesicht, das ich schon während des Albtraumes von unserer Hochzeit gesehen hatte!
Priscylla wandte sich wieder um und im gleichen Moment erkannte ich, dass meine Nerven mir nur einen Streich gespielt hatten. Ihr Gesicht war wieder jung und schön wie immer.
Sie schien endlich gefunden zu haben, wonach sie suchte. Mein Verdacht bestätigte sich. Sie trat direkt zu dem Kamin mit dem Ölbild darüber, hinter dem sich der Wandsafe mit den SIEGELN DER MACHT verbarg. Sie riss das Bild achtlos herunter. Irritiert schaute sie die Drehknöpfe einen Moment lang an und machte sich dann an den Zahlenschlössern zu schaffen. Dabei murmelte sie ein einzelnes Wort; nein, kein Wort, mehr ein kehliger, unglaublich düster klingender Laut, der geeignet war, jedem Menschen einen Knoten in die Stimmbänder zu zaubern.
Ich zuckte zusammen. Eine Gänsehaut rann über meinen Rücken und ich glaubte für einen Sekundenbruchteil die Anwesenheit von etwas ungeheuer Fremdartigem zu spüren, das durch ihren Ruf herbeigelockt worden war. Obwohl sie nur leise gesprochen hatte, schien der düstere Laut von den Wänden widerzuhallen und bei jedem Echo noch an Stärke zu gewinnen.
Ich durfte nicht mehr länger zögern. Auch wenn Priscylla die Kombination des Safes nicht kannte, war ich mir plötzlich gar nicht mehr sicher, ob sie ihn nicht trotzdem zu öffnen vermochte. Es war nicht das erste Mal, dass ich einen Laut wie diesen gehört hatte. Sie hatte ein Wort der Macht gesprochen; ein sicherer Beweis, dass sie unter den Einfluss eines fremden Willens geraten war, bei dem es sich nur um ein gespenstisches Eigenleben der SIEGEL in dem
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