Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
verschlissener Kleidung. Ihre Galgenvogelgesichter passten zu der Umgebung wie die berüchtigte Faust aufs Auge. Ich glaubte die taxierenden Blicke der Männer wie Dolchstöße zu spüren. Betont unauffällig blickte ich in eine andere Richtung, wenn unsere Blicke sich kreuzten, wobei ich mir bewusst war, dass wir auch so genügend Aufmerksamkeit erregten.
Schon unsere Kleidung machte deutlich, wie sehr wir uns von den Männern hier unterschieden, und die blitzförmige weiße Strähne in meinem Haar tat ein Übriges. Auch wenn die Mode immer törichter zu werden begann, hatte sich eine solche Stilrichtung bislang noch nicht durchsetzen können. Möglicherweise war ich hundert Jahre zu früh, was ausgefallene Frisuren angeht.
Der Wirt, einer jener Zeitgenossen, denen ich auch nicht unbedingt allein in einer nächtlichen Gasse begegnet wäre, kam mit finsterer Miene herangeschlurft und knallte die bestellten Bierkrüge vor uns auf den Tisch; dass gut ein Viertel der Flüssigkeit, die sie enthielten und von der er behauptete, dass es sich um Bier handle, dabei überschwappte und ein Teil auf unsere Anzüge spritzte, schien er nicht wahrzunehmen. Angesichts seiner massigen Statur erschien es mir angeraten, ihn auch nicht darauf aufmerksam zu machen. Ich verscheuchte die Frage, in welchem Wasser die Krüge wohl gespült worden sein mochten – wenn überhaupt – und probierte einen Schluck. Entgegen allen Erwartungen schmeckte das Bier sogar gut, aber das erschien mir als Grund, warum Howard mit mir in überstürzter Hast nach Brighton aufgebrochen war, reichlich unzureichend, zumal es auch in London – zumindest gelegentlich – gutes Bier gab. Er hatte es so eilig gehabt, dass uns nicht einmal die Zeit geblieben war auf Rowlf zu warten, der irgendwelche Besorgungen erledigte.
Howard machte auch jetzt noch keine Anstalten, mir zu erklären, warum wir diese Reise unternommen hatten. Scheinbar gelangweilt blickte er sich in der Schankstube um, aber ich spürte genau, dass es eine Art von aufgesetzter Langeweile war, hinter der sich höchste Konzentration und scharfes Beobachten verbargen.
»Es wäre nett, wenn du mir endlich erklärtest, was wir hier wollen«, richtete ich das Wort an ihn.
Howard sog an seiner Zigarre und paffte mir eine dicke Rauchwolke wie unbeabsichtigt genau ins Gesicht. Ich musste husten, aber diesmal war ich nicht bereit, mich wieder mit Ausflüchten abspeisen zu lassen. Howard verstand es immer noch meisterhaft Geheimnisse aufzubauen und mich mit seiner Fähigkeit, selbst direkten Fragen auszuweichen, an den Rand der Verzweiflung zu treiben. Bei seiner Begabung, mit vielen Worten so gut wie nichts auszudrücken, hätte er glattweg Schriftsteller werden können.
»Also?«, fragte ich ungeduldig.
»Wir warten«, erklärte er im Verschwörerton, wobei er ein Gesicht machte, als hätte er soeben ein ungeheuer wichtiges Geheimnis preisgegeben.
»Das hatte ich mir fast gedacht«, gab ich wütend zurück. »Worauf? Oder auf wen?«
Howard sah mich einige Sekunden lang an, aber ich erkannte, dass er mir nicht direkt in die Augen blickte, sondern nur einen Punkt dazwischen fixierte, dann senkte er den Blick und schüttelte auf väterliche Art den Kopf. »Warum wartest du nicht einfach ab, was passiert?«
Ich kannte Howard inzwischen, zumindest bildete ich mir das ein, aber an seine Geheimniskrämerei würde ich mich wohl nie gewöhnen können. Es hatte fast den Anschein, als mache er sich einen Spaß daraus, seine Mitmenschen zur Weißglut zu treiben. Irgendwann würde er mal an jemanden geraten, der überhaupt keinen Spaß verstand, und wenn ich ehrlich war, gönnte ich ihm diese Begegnung fast ein wenig. Möglicherweise saß er ihm bereits gegenüber und nebelte ihn mit seinen Zigarren ein, dachte ich wütend.
»Ich möchte endlich wissen, was hier gespielt wird«, sagte ich mit mühsam erzwungener Ruhe. »Ich bin kein kleines Kind mehr, das dürftest selbst du mittlerweile erkannt haben. Also behandle mich auch nicht ständig so, sondern gib mir endlich eine klare Antwort. Ich kenne bessere Möglichkeiten, mir die Zeit zu vertreiben, als hier herumzusitzen, weißt du?«
»Ich … ich kann dir nicht sagen, auf wen wir warten, Robert«, murmelte er gequält. Bei dem Ernst, der mit einem Mal in seiner Stimme mitklang, war ich einen Augenblick lang fast bereit ihm zu glauben, bis mir bewusst wurde, dass auch das nur Teil seiner Ablenkungsstrategie war. »Es ist besser für dich, wenn du es nicht
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