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Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ich. Auf der anderen Seite hatte er gar keine andere Wahl, als mir zu glauben – schließlich hatte ich mich verändert, wenn auch nicht so sehr, dass ich eine gewisse Familienähnlichkeit hätte verleugnen können, und überdies hatte er meine grässlich verstümmelte Leiche vor fünf Jahren mit eigenen Augen gesehen.
    Er tat mir beinahe Leid.
    Aber nur beinahe.

 

     
     
    Der Wind heulte uns ein eisiges Willkommen entgegen, als wir auf den Bahnsteig herabtraten, und meine erste (und wie sich zeigen sollte, durchaus typische) Erfahrung mit Brandersgate war, dass eines der morschen Bretter des Bahnsteiges unter meinem Gewicht nachgab und ich jählings bis über den Knöchel in den morastigen Boden darunter versank.
    Mit einem zornigen Fluch stellte ich meinen Koffer ab, zog den Fuß behutsam aus den morschen Planken heraus und betrachtete missmutig den Morast, der an meinem Hosensaum klebte und meinen Schuh besudelte. Ich hatte die Schuhe erst vor drei Tagen gekauft und sie hatten annähernd vierzig Pfund gekostet.
    Hinter mir erscholl ein halblautes Lachen. Erbost fuhr ich herum und starrte Cohen an, aber das schadenfrohe Grinsen verschwand nicht von seinem Gesicht, sondern wurde eher noch breiter.
    »Sie sind zu ungestüm, Robert«, sagte er spöttisch. Er schüttelte den Kopf. »Das ist typisch für euch Amerikaner. Sie werden noch eine Menge lernen müssen, wenn Sie länger in England bleiben wollen. Dies hier ist ein altes Land und viele von unseren Dingen sind ebenso alt. Aber sie sind nicht so alt geworden, weil wir grob mit ihnen umgehen.« Er trat an meine Seite, ergriff wortlos und ungefragt meinen Koffer und konnte sich nicht verkneifen mit einem spöttischen Glitzern in den Augen hinzuzufügen: »Ihr Bruder hätte das gewusst.«
    Ich bemühte mich ihn mit Blicken aufzuspießen, während er an mir vorüberging, aber mir wurde auch schnell klar, dass mein Zorn nur Wasser auf seine Mühlen war, und so beherrschte ich mich, wischte den Schmutz von meinem Schuh, so gut es ging, und beeilte mich, ihm zu folgen. Dabei sah ich mich abermals und sehr aufmerksam auf dem Bahnhof um.
    Nicht, dass es sonderlich viel zu sehen gegeben hätte. Der Bahnhof von Brandersgate machte auf den ersten Blick einen heruntergekommenen Eindruck. Der zweite Blick zeigte, dass dieser Eindruck nicht ganz richtig war: Brandersgate war nicht ziemlich heruntergekommen, er war vollkommen verwahrlost, baufällig, schmutzig und allem Anschein nach seit ungefähr einer Generation verlassen. Cohen hatte mich gewarnt und gemeint, dass dieser Ort schon bessere Zeiten gesehen hatte – aber wenn, dann musste das irgendwann vor der letzten Sintflut gewesen sein.
    Es begann mit dem Bahnsteig, der aussah, als hätte ihn jemand als Zielscheibe für seine neu erworbene Gatlin-Gun missbraucht; offensichtlich war ich nicht der Einzige, dessen Gewicht zu viel für die morschen Bretter gewesen war. Aber dieser jämmerliche Eindruck setzte sich auch bei dem Haupt- (und zugleich einzigen) Gebäude fort. Die Bretter waren morsch, von Holzwürmern zerfressen, und wenn sie jemals einen Anstrich gehabt hatten, so musste das ungefähr hundertfünfzig Jahre her sein. Sämtliche Scheiben waren entweder blind vor Schmutz oder zerbrochen und mit Pappkarton geflickt, und aus dem Bahnhofsschild waren drei Buchstaben herausgefallen, sodass die Aufschrift nun BRNDRSGTE lautete. Ich vermutete, dass man es auch so ähnlich aussprach. Und was ich von der Stadt (Stadt?!) jenseits des Bahnhofsgebäudes erkennen konnte, das machte einen kaum vertrauenerweckenderen Eindruck.
    Hinter uns setzte sich der Zug wieder in Bewegung und die Erschütterung ließ den gesamten Bahnhof erzittern. Die wenigen Scheiben, die noch in ihren Rahmen verblieben waren, klirrten hörbar. Ich betete, dass der Zugführer nicht etwa auf die Idee kam, seine Pfeife schrillen zu lassen. Vermutlich hätte das die ganze Bruchbude zum Einsturz gebracht.
    Ich hatte Cohen endlich eingeholt. Er grinste noch immer über das ganze Gesicht und hielt mir meinen Koffer entgegen. Ich ignorierte es geflissentlich. »Wo bleibt Ihr Kollege?«, fragte ich. »Wollte er uns nicht am Bahnhof abholen?«
    Cohen zuckte nur mit den Schultern. »Offensichtlich ist er nicht da«, antwortete er. »Dabei war der Zug doch pünktlich, oder?« Er warf einen Blick auf die Bahnhofsuhr, stellte fest, dass der große Zeiger fehlte und der kleine verbogen und auf der Zwölf stehen geblieben war und setzte das Gepäck ab, um seine

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