Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
glaubte mir kein Wort, aber aus irgendeinem Grund spielte er das Spiel zumindest nach außen hin mit und behandelte mich wie den Zwillingsbruder aus Amerika, der zu sein ich vorgab; wenn er auch keine Gelegenheit ausließ, mir durch die Blume klar zu machen, dass er mich durchschaut hatte. Trotzdem half er mir, nach dem geheimnisvollen Mr. Crowley zu suchen. Vermutlich hoffte er, dass er auf diese Weise auch Howards Spur wieder aufnehmen konnte, denn er war genauso versessen darauf, ihn wiederzusehen, wie ich. Wenn auch aus vollkommen anderen Gründen.
Aber so oder so – die Spur nach Schottland war vielleicht nicht mehr als ein Strohhalm, aber zugleich auch der einzige Strohhalm, den wir hatten.
Cohen kam zurück. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Der Spott war von seinen Zügen verschwunden und hatte der verbissenen Selbstbeherrschung eines Mannes Platz gemacht, der soeben einen heftigen Streit hinter sich gebracht hatte. Aber er ignorierte meinen fragenden Blick und deutete stumm auf ein Gebäude am Ende der Straße. Es erhob sich unmittelbar neben der Kirche und war kaum weniger heruntergekommen und verfallen als der Rest der Ortschaft. Aber zumindest befanden sich noch alle Scheiben in ihren Rahmen.
Auf dem Weg dorthin begegneten wir dem ersten menschlichen Wesen von Brandersgate. Es war ein Junge von neun, vielleicht zehn Jahren. Er trat aus einem der Häuser heraus, machte einen Schritt auf die Straße und blieb abrupt stehen. Ein nachdenklicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht; ein Blick, der mich sonderbar berührte, denn er erschien mir um einiges zu ernst für einen Knaben dieses Alters. Er stand einfach nur da und blickte uns an, noch nicht einmal unfreundlich, aber eben auf jene Art, die mich schaudern ließ.
»Gab es Ärger?«, fragte ich.
»Im Laden?« Cohen zuckte mit den Schultern. »Kaum. Sie mögen keine Fremden hier. Und Engländer schon gar nicht.«
»Ich dachte, wir sind hier in England«, sagte ich spöttisch.
»Schottland«, verbesserte mich Cohen ruhig. »Hier ist jeder ein Ausländer, der weiter als zwei Meilen entfernt geboren wurde.«
Ich lächelte pflichtschuldig, aber wir sprachen nicht weiter, sondern legten den Rest des Weges schweigend zurück. Als wir vor dem bezeichneten Gebäude anhielten und Cohen anklopfte, drehte ich mich noch einmal herum und sah die Straße hinab.
Der Junge stand noch immer da und beobachtete uns. Aber er war nicht mehr allein. Auf beiden Seiten der Straße waren weitere Kinder aus den Häusern getreten. Es waren acht oder neun. Keines von ihnen war älter als zehn Jahre und sie alle blickten uns auf die gleiche, beinahe Angst machende Art an.
»Es sind Fremde in der Stadt«, sagte Barney. Er sagte es ruhig, mit einem leisen Ton von Missbilligung, vielleicht sogar Misstrauen, und etwas Nachdenkliches schwang in seiner Stimme; und er sagte es ganz und gar nicht auf eine Art, auf die ein Fünfjähriger so etwas sagen würde. »Ich möchte wissen, was sie hier suchen.«
Der fremde Ton in der Stimme ihres Sohnes gab Alyssa einen tiefen, schmerzhaften Stich und noch bevor sie sich vom Herd umwandte und in Barneys Gesicht sah, wusste sie, was sie darin erblicken würde, nämlich einen Ausdruck von Ernst und beinahe Verbissenheit, der ebenso wenig ins Antlitz eines Fünfjährigen gehörte, wie dieser Klang in seine Stimme. Aber sie waren nicht allein. Tom saß am Tisch und löffelte geistesabwesend die dünne Graupensuppe, die sie gekocht hatte, zwar den größten Teil seiner Konzentration auf die Titelseite der Zeitung verwendend, aber er hörte doch zu und so zwang sie ein Lächeln auf ihre Züge und fragte nur: »So? Vielleicht sind sie ja nur auf der Durchreise.«
Wie sie erwartet hatte, ließ Tom ganz kurz seine Zeitung sinken und sah sie über den Rand der Gazette hinweg für eine Sekunde durchdringend an, ehe er sich wieder seiner Lektüre zuwandte, und Barney antwortete mit einem heftigen Kopfschütteln:
»Niemand kommt auf der Durchreise nach Brandersgate, das solltest du wissen, Mutter.«
Mutter. Schon dieses Wort allein machte es Alyssa schwer, weiter ihre Beherrschung zu bewahren. Ein fünfjähriger sollte nicht Mutter zu seiner Mutter sagen. Mom, Mutti, Ma – aber nicht Mutter, nicht auf die Art, auf die Barney das Wort aussprach. Früher hatte er das nie getan.
Sie nahm den Topf mit dem Braten vom Herd, trug ihn zum Tisch und sah zu, wie Barney drei Teller und das Besteck aus dem Schrank holte. Er musste sich dazu auf
Weitere Kostenlose Bücher