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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aufgedunsenen Fleisches.
    Doch das war nur der Schrecken, den meine eigene Einbildung heraufbeschwor. Unbehelligt erreichten wir den alten Bahnhof von Brandersgate, und auch der Rest der Nacht verging, ohne dass sich von Joshua oder Nyarlathoteps Brut auch nur noch die kleinste Spur zeigte.
     
    Der Zug kam auf die Minute pünktlich durch Brandersgate. Wir hatten nicht erwartet, dass er anhalten würde – und wieso auch? –, sodass ich schon eine Stunde zuvor mit Cohens Hilfe auf den baufälligen Signalmast fünfzig Yards vor dem Bahnsteig hinaufgeklettert war und das rote Haltesignal gegen den Widerstand von Rost und betonhart verkrustetem Schmutz heruntergeklappt und von den ärgsten Verunreinigungen befreit hatte. Und tatsächlich reagierte der Lokführer darauf. Die riesige Dampflokomotive wurde langsamer, stieß einen schrillen, in der Stille des Vormittages sicherlich meilenweit zu hörenden Pfiff aus und kam schließlich zischend und in einer gewaltigen Dampfwolke unmittelbar vor dem Bahnsteig zum Stehen. Der Lokführer blickte verdattert aus seinem Führerhaus zu uns heraus und nur einen Augenblick später wurde die Tür des ersten von nur drei Wagen aufgestoßen und ein reichlich verdutzter Schaffner sprang auf den Bahnsteig herab und betrachtete uns mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich Zorn mit Verwunderung mischte. Es kostete mich all meine Überredungskunst (und einen nicht unbeträchtlichen Teil des Bargeldes, das ich bei mir führte), seine Verärgerung über unsere eigenmächtige Betätigung des Haltesignals zu besänftigen – und eine zweite, lebensgefährliche Kletterpartie auf den Signalmast hinauf, um den Schaden wieder gutzumachen. Als ich zurückkehrte, hatte Cohen (wozu er, wie ich allerdings erst später erfuhr, schamlos den gesamten Rest meiner Barschaft eingesetzt hatte) den heiligen Zorn des Zugführers in eine leise Verärgerung verwandelt und sogar zwei Erste-Klasse-Fahrkarten nach London für uns ergattert.
    »Sie müssen wirklich verrückt sein«, sagte der Schaffner, während er Cohen und mich zum Erste-Klasse-Wagen – dem letzten – geleitete und die Tür für uns aufriss. »Hier hat seit fünf Jahren kein Zug mehr angehalten. Der Bahnhof sollte längst abgerissen werden.« Er maß mich mit einem langen, strafenden Blick. »Wissen Sie überhaupt, was passieren kann, wenn man eigenhändig an einem Signal herumfummelt?«
    Ich glaubte es sehr gut zu wissen, zog es aber vor, den Unbedarften zu spielen und zuckte nur mit einem verlegenen Lächeln die Achseln. Dem Mann hinlänglich die Gelegenheit zu geben, uns zu belehren, war vermutlich der beste Weg, um ihn zu beruhigen.
    »So etwas kann zu einer Katastrophe führen«, fuhr er in strafendem Tonfall fort. »Und es wäre nicht einmal nötig gewesen. Unser nächster Haltepunkt ist keine fünf Meilen entfernt. Wieso sind Sie nicht einfach dorthin gegangen? So ganz nebenbei – es wäre auch sehr viel billiger gewesen. Von Rechts wegen müsste ich Sie anzeigen, ist Ihnen das klar?«
    »Es tut mir wirklich Leid, Sir«, sagte ich in demütigem Ton. »Ich … habe mir nichts dabei gedacht.«
    »Nichts dabei gedacht!« Der Schaffner verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und machte dann eine resignierende Geste. »Ja, so ungefähr habe ich mir das gedacht. Steigen Sie schon ein, ehe wir unseren Fahrplan ganz über den Haufen werfen.«
    Cohen und ich beeilten uns der Aufforderung Folge zu leisten. Als ich hinter Cohen die zwei Stufen in den Wagen hinaufstieg, glaubte ich weiter vorne am Zug eine Bewegung wahrzunehmen. Ich blieb stehen und sah aufmerksamer in diese Richtung. Aber ich musste mich getäuscht haben. Der Bahnhof lag verlassen und öde wie seit fünf Jahren vor uns.
    Der Zug fuhr weiter, kaum dass der Schaffner die Tür hinter uns ins Schloss gezogen hatte. Wir folgten ihm zu einem leer stehenden Abteil am hinteren Ende des Wagens. Cohen bedankte sich noch einmal für seine Freundlichkeit und auch ich versäumte es nicht, ihn noch einmal um Verzeihung zu bitten, dann ließen wir uns erschöpft auf die roten Samtpolster der Sitze sinken.
    Zum ersten Mal seit zwei Tagen atmete ich wirklich erleichtert auf. Trotz allem hatte ich erst jetzt das Gefühl, der Gefahr tatsächlich entronnen zu sein. Der Zug gewann allmählich an Fahrt und entfernte sich immer schneller von Brandersgate und es vergingen nur wenige Augenblicke, bis wir auch den unheimlichen, kahl gefressenen Wald hinter uns gelassen hatten und mit immer noch wachsender

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