Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
»Sie wären nicht besonders begeistert davon, wenn hier jeder einfach so hereinspazieren könnte, oder?«
»Das kommt darauf an, was auf dem Spiel steht«, maulte Cohen. »Außerdem bin ich nicht jeder, verdammt nochmal.«
Aber es half nichts – wir mussten uns in Geduld fassen, ob es uns nun gefiel oder nicht. Wir verloren die auf dem Weg gutgemachte Zeit wieder, indem wir tatenlos herumstanden und warteten, und auch danach vergingen sicher noch einmal zehn Minuten, ehe die Klappe endlich wieder geöffnet wurde. Diesmal war es ein älterer, schnauzbärtiger Mann mit grauem Haar und sorgfältig ausrasierten Koteletten, der uns durch die Gitter hindurch anblickte – offensichtlich der Gefängnisdirektor, wie ich aus Cohens erleichtertem Aufatmen schloss.
»Inspektor Cohen?«, sagte er überrascht. »Tatsächlich, Sie sind es. Was gibt es denn so Wichtiges?« Zugleich hörten wir das Geräusch des Schlüssels, der sich im Schloss bewegte. Die Tür schwang einige Zoll weit langsam und dann mit einem Ruck weiter auf, als Cohen unwillig dagegenstieß.
»Hasseltime!«, sagte er herrisch. »Wo ist er? Wir müssen mit ihm reden. Ist er noch hier?«
»Sicher«, antwortete der Gefängnisdirektor, der nun sichtlich gar nichts mehr verstand. »Sie haben Glück – er soll gerade abgeholt werden. Aber was ist denn nur -«
»Abgeholt? Von wem? Wohin?«
»Aber Sie haben doch selbst angeordnet, dass er in die Nervenheilanstalt gebracht -«, begann der Direktor.
Cohen hörte ihm gar nicht mehr zu, sondern stieß ihn mit einem derben Ruck aus dem Weg und rannte los. Howard und ich folgten ihm auf dem Fuß, während sich der Gefängnisdirektor und sein unfreundlicher Begleiter erst nach einigen Augenblicken von ihrer Überraschung erholten, uns dann aber umso rascher und lautstark protestierend folgten.
»Inspektor, das geht doch nicht! Es gibt gewisse Regeln, die selbst Sie einhalten müssen!«
Wenn dem so war, so ignorierte Cohen besagte Regeln einfach. Er stürmte mit weit ausgreifenden Schritten vor uns her, stieß eine weitere Tür auf und rannte eine Treppe hinauf, so schnell, dass selbst Howard und ich alle Mühe hatten ihm zu folgen. Im Sturmschritt durcheilten wir das Gefängnis und näherten uns dem Trakt, in dem die Untersuchungsgefangenen untergebracht waren.
»Inspektor Cohen, jetzt reicht es!«, schrie der Direktor hinter uns. »Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung!«
Cohen ignorierte ihn weiter – und das war ein Fehler, wie sich in der nächsten Sekunde zeigte. Plötzlich flogen vor uns zwei Türen auf und beinahe ein halbes Dutzend fragend dreinblickender Männer in den blaugrauen Uniformen des Gefängnispersonals stürmte auf den Gang, angelockt durch den Lärm und die wütenden Rufe des Direktors. Doch so verdutzt sie auch sein mochten, hielt sie das nicht davon ab, den Befehlen ihres Dienstherren zu gehorchen und Cohen und uns den Weg zu vertreten.
»Ich muss doch wirklich bitten!«, sagte der Direktor, nachdem er keuchend zu uns aufgeholt hatte. »Inspektor, was ist denn in Sie gefahren?!«
Cohen versuchte sich zwischen den Männern hindurchzudrängeln, die den Gang vor uns abriegelten, aber die Übermacht war zu groß.
»Lassen Sie mich durch!«, verlangte er. »Ich muss Hasseltime sehen! Sofort, ehe er abgeholt wird!«
»Gerne«, antwortete der Direktor. »Sobald Sie mir den Grund für Ihre Aufregung verraten haben. Und vor allem einen guten Grund dafür nennen, warum diese beiden Zivilisten hier sind. Ihren Diensteifer in Ehren, Inspektor, aber dies ist ein Gefängnis, in dem gewisse Regeln -«
Und das war der Moment, in dem auf dem Gang vor uns ein so gellender, unmenschlicher Schrei erscholl, dass der Direktor abrupt mitten im Wort abbrach.
Diesmal versuchte niemand mehr, Cohen aufzuhalten. Mit einer Behändigkeit, die ich einem Mann seiner Statur niemals auch nur zugetraut hätte, raste er los und jagte den Gang hinab. Ich folgte ihm so schnell ich konnte, fiel aber ebenso hoffnungslos zurück wie Howard und die anderen Männer – und einen Moment später rannte ich ihn im wahrsten Sinne des Wortes über den Haufen, denn Cohen war durch eine geöffnete Zellentür gestürzt und unmittelbar dahinter stehen geblieben. Ich brauchte einige Sekunden, um mein Gleichgewicht wiederzufinden – und dann um etliches länger, um meine Fassung wiederzufinden.
Wir waren in Hasseltimes Zelle. Daran gab es gar keinen Zweifel, denn der Mann, der vor uns auf dem Boden lag, war niemand anderes als
Weitere Kostenlose Bücher