Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
erschreckender und auch gefährlicher gewesen – aber nur sehr wenige wirklich unheimlicher. Ich fand keine Erklärung für diesen unheimlichen Effekt, so angestrengt ich es auch versuchte.
Behutsam strecke ich die rechte Hand aus und erwartete halbwegs, sie einfach im Nichts verschwinden zu sehen. Das geschah nicht. Ich spürte auch nichts Außergewöhnliches, doch als ich schließlich all meinen Mut zusammennahm und erneut einen Schritt nach vorne tat, wiederholte sich das unheimliche Geschehen: Der Gang verschwand und machte jenem gewaltigen Felsendom Platz, in den ich gerade schon einmal so jählings hineingestolpert war.
Diesmal war ich jedoch vorbereitet und daher vorsichtiger. Ich warf nur rasch einen Blick nach rechts und links, stellte fest, dass ich mich gerade nicht getäuscht hatte und die Höhle voller Menschen war, und zog mich hastig zurück. Niemand schien von mir Notiz genommen zu haben.
Ich war einen Moment unschlüssig. Die beiden kurzen Eindrücke, die ich von der Halle gewonnen hatte, schienen meine Vorsicht ebenso zu bestätigen wie meinen Verdacht, es hier mit den gleichen Gegnern zu tun zu haben, von denen Howard mir erzählt hatte; und auch wenn ich noch immer nicht die geringste Ahnung hatte, wer sie waren und aus welchen Beweggründen heraus – oder für wen! – sie arbeiteten, so war mir doch klar, dass ich diesen Leuten besser aus dem Wege ging und ganz bestimmt keine Hilfe von ihnen zu erwarten hatte.
Andererseits hatte ich keine besonders große Auswahl. Ich konnte nicht zurück. Nichts hätte mich zwar daran gehindert, kehrtzumachen und einen anderen Weg aus diesem Labyrinth heraus zu suchen, aber ich war ziemlich sicher, dass das vollkommen sinnlos war. Vermutlich konnte ich bis zum Jüngsten Tag durch dieses magische Labyrinth stolpern, ohne einen anderen Ausgang zu finden. Und da war noch etwas …
Ich konnte das Gefühl nicht wirklich in Worte kleiden, aber es war da: Das sichere Gefühl, dass ich eigentlich wissen sollte, was diese unheimliche Szene auf der anderen Seite der unsichtbaren Barriere zu bedeuten hatte. Ein so deutliches Gefühl von déjà-vu, dass ich es einfach nicht ignorieren konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte. Es war lange her, im wortwörtlichen Sinne tatsächlich in einem anderen Leben, aber ich hatte etwas ganz Ähnliches schon einmal erlebt.
So fasste ich schließlich all meinen Mut zusammen und trat ein drittes Mal durch die unsichtbare Mauer, die den Gang vor mir verschloss, und diesmal zog ich mich nicht hastig wieder zurück, sondern sah nur unauffällig nach rechts und links und registrierte erleichtert, dass anscheinend auch diesmal niemand von meinem Eintreten Notiz zu nehmen schien.
Dabei war die Höhle tatsächlich voller Menschen. Ich schätzte, dass es an die dreißig, wenn nicht sogar vierzig Gestalten waren, die hoch aufgerichtet und in dunkelrote, sehr seltsam anmutende Mäntel gehüllt vor mir dastanden. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie zu beschäftigt waren, um irgendetwas anderes wahrzunehmen. Ich konnte zwar nicht erkennen, womit, aber sie standen in einem großen, dicht geschlossenen Kreis da und schienen sich an den Händen zu halten; genau konnte ich das nicht sagen, denn irgendetwas stimmte tatsächlich mit ihren Mänteln nicht. Es war unmöglich, sie genau anzusehen. So verrückt es mir selbst vorkam, es schien, als wären sie in ständiger Bewegung, weniger wie Kleidungsstücke, als vielmehr wie … lebende Dinge.
Und dann wusste ich, wieso mir diese Szene auf so unangenehme Weise bekannt vorkam und wo ich etwas Derartiges schon einmal gesehen hatte.
Aber diese Erkenntnis kam zu spät.
Der Gesang der Menge, der die Höhle bisher ununterbrochen erfüllt hatte, brach jäh ab. Einige der Gestalten hoben die Köpfe und sahen mich an, andere wandten sich direkt zu mir um und zwei oder drei hoben auch die Hände und deuteten auf mich. Einer machte gar einen Schritt in meine Richtung.
Ich wartete nicht ab, ob sich die anderen der Bewegung anschlossen, sondern tat das einzige, was ich konnte: Ich fuhr auf der Stelle herum und warf mich mit einer verzweifelten Bewegung wieder zurück in den Stollen, aus dem ich gekommen war.
Wenigstens wollte ich es.
Leider war er nicht mehr da.
Wo der unsichtbare Eingang sein sollte, befand sich jetzt eine durch und durch sichtbare und äußerst massive Felswand.
Rowlf hatte irgendwann vor einer Stunde, vielleicht auch zwei oder drei, aufgehört, wirklich daran zu glauben,
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