Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
ich die Tür, gab dem Kutscher ein Zeichen loszufahren, und beförderte die Katze durchs Fenster ins Freie.
Leider hatte ich vergessen, das Fenster in der anderen Tür zu schließen. Als ich mich auf meinen Sitz zurücksinken ließ, lag neben mir ein schnurrendes Fellbündel.
»Warum nimmst du sie nicht mit?«, fragte Howard, während er sich die Tränen von der Wange wischte.
»Weil sie bestimmt jemandem gehört, der darüber nicht sehr erbaut sein dürfte«, sagte ich. »Das ist keine wilde Katze. Sie hat ein Zuhause.«
»Das ihr offenbar nicht so gut gefällt wie deine Gesellschaft«, fügte Howard, noch immer glucksend vor Lachen, hinzu. »Was haben wir denn da überhaupt? Eine Katze oder einen Kater?« Er beugte sich vor, hob den Schwanz der Katze an und spähte darunter. »Ein kleines Katerchen«, sagte er. »Soso. Das erklärt -«
Offensichtlich empfand der Kater diese Art der Behandlung für unter seiner Würde, denn er öffnete träge ein Auge, blinzelte Howard verschlafen an – und machte dann eine blitzartige Bewegung mit der Tatze. Howards Zigarre verwandelte sich in einen zerfledderten Stumpf, von dem Asche und Funken auf seinen Schoß herabregneten.
Überflüssig zu erwähnen, dass Howard aufhörte zu lachen.
William Forbes, seines Zeichens Inspektor der städtischen Bauaufsichtsbehörde und somit nicht nur eine Amts-, sondern schon per Definition eine Respektperson, hatte sich in seinem Leben schon oft mit den Folgen architektonischer Fehlplanungen, krimineller Machenschaften, vollkommener Unfähigkeit oder auch schlichter Dummheit herumplagen müssen; Folgen, die schon mehrfach einen tödlichen Ausgang genommen hatten. Niemals zuvor jedoch hatte er ein solches Ausmaß an Verwüstung gesehen. Das Stadtviertel bot einen Anblick, als wäre es von feindlicher Artillerie bombardiert und anschließend von einem besonders schweren Erdbeben erschüttert worden.
Am schlimmsten sah es in der Atkins-Road aus. Einst hatte sie im Blickpunkt des Weltinteresses gelegen, war aber dann nach der Schließung des Hansom-Komplexes binnen kurzer Zeit verwahrlost und nach übereinstimmender Aussage nahezu sämtlicher Stadtverordneter, Regierungsvertreter und Bewohner der umliegenden Häuserblöcke zu einem Schandfleck für die Stadt verkommen.
Das Geld für einen Abriss hatte dennoch niemand bewilligt. Es hatte halbherzige Ausflüchte gegeben und immer wieder hatte man auf das fehlende Geld verwiesen, doch auch das war nur eine Ausrede gewesen. Insgeheim, so vermutete Forbes, hatte man immer noch darauf gehofft, dass jemand irgendein neues Verfahren entwickeln würde, das es ermöglichte, den Hansom-Komplex doch noch zu retten.
Nun, das Problem stellte sich nicht mehr. Der gesamte Häuserblock war so gründlich zerstört, wie es nur denkbar war. Von dem Wunder der Architektur war nur ein riesiger Schutthaufen geblieben, aus dem man bislang bereits drei Tote geborgen hatte, allesamt Stadtstreicher, die in dem leer stehenden Haus Unterschlupf gesucht hatten. Vermutlich würden es nicht einmal die letzten sein.
Forbes hielt sich nun schon seit mehr als fünf Stunden im Unglücksgebiet auf, aber es war ihm immer noch nicht gelungen, das Geschehen wirklich zu verarbeiten. Er hatte sich für abgebrüht gehalten und nicht geglaubt, das ihm noch irgendetwas unter die Haut gehen könnte, das mit seinem Beruf zusammenhing, doch hier wurde er eines Besseren belehrt. Es gab immer ein Schlimmer. Selbst der Phantasie eines Mannes, der seit zwanzig Jahren Tote unter eingestürzten Mauern hervorzog, Leichenteile zwischen zerborstenen Brückenpfeilern herauszerrte und weinende Kinder vor den Ruinen der Häuser sah, in denen ihre gesamte Familie ums Leben gekommen war, waren Grenzen gesetzt.
Der Wirklichkeit nicht.
Diese Katastrophe war so schwerwiegend, dass sie größere Konsequenzen nach sich ziehen musste. Köpfe würden rollen und er konnte von Glück sagen, wenn sein eigener nicht dabei war. Zwar hatte er mit dem Hansom-Komplex nichts zu tun gehabt, wohl aber mit den Genehmigungen für den Ausbau des U-Bahn-Netzes.
Dabei war das Schlimmste nicht einmal das, was geschehen war. Sicher, drei Tote waren entsetzlich, aber es waren letztendlich nur ein paar Obdachlose, die niemand wirklich vermisste. Viel schlimmer war die Vorstellung, was alles hätte passieren können. Wenn dieses gigantische Gebäude zum Beispiel nicht leer gestanden hätte, sondern tatsächlich bewohnt gewesen wäre, oder …
Nein. Es war besser, er
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