Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Berger und die drei weiteren Männer in ihrer Begleitung, nur seitlich hindurchzwängen konnten. Dazu wurde die Luft immer schlechter, sodass Forbes nun tatsächlich kaum noch atmen konnte. Sein Herz schlug immer schneller. Seine Hände zitterten leicht und obwohl es immer kälter wurde, war er am ganzen Leib in Schweiß gebadet. Forbes verstand seine eigene Reaktion nicht ganz. Was er empfand, das war ein heftiger Anfall von Klaustrophobie. Dabei war ihm dieses Gefühl normalerweise vollkommen fremd; zumal es sein Beruf mit sich brachte, dass er dann und wann in engen, dunklen Räumen herumkriechen musste. Forbes atmete hörbar erleichtert auf, als sie schließlich die Höhle erreichten, von der Berger gesprochen hatte.
Ihre ursprüngliche Größe war nicht mehr abzuschätzen, da die rechte – zur Atkins-Road hin gelegene – Seite ebenfalls eingestürzt war. Auf der linken Seite hingegen erstreckte sich immerhin noch ein Teil der Grotte, der beeindruckende Größe besaß. Die gewölbte Decke war gut zwanzig Fuß hoch und bestand aus massiv aussehendem Felsgestein, in dem auch Kalk enthalten sein musste, denn von der Decke hing ein Gewirr spitzer Stalaktiten herab, denen ein fast gleichgroßer Wald bizarr geformter Stalagmiten vom Boden aus entgegenwuchs. Einige davon waren zerbrochen, vielleicht beim Einsturz der Höhle beschädigt, vielleicht von den Männern zerstört, die vor ihm hier gewesen waren. Trotzdem war es ein beeindruckender, fast unheimlicher Anblick, der Forbes an das Gebiss eines gigantischen, prähistorischen Haifisches erinnerte, der vor Äonen hier gestrandet und versteinert sein mochte. Und so ganz nebenbei machte es Forbes klar, wie unglaublich alt diese Höhle sein musste, denn diese Stalagmiten und ihre Gegenstücke wachsen nur sehr, sehr langsam. Vielleicht nur einen Millimeter im Jahr, vielleicht sogar noch weniger. Vielfach hatten sie sich bereits mit den vom Boden her aufragenden Stalagmiten zu Kalksäulen verbunden, die das Gewölbe wie dicke Träger stützten; ein Anblick, der eine Stabilität vorgaukelte, die es ganz und gar nicht gab.
Das Licht der Karbidlampen brach sich in den feucht schimmernden Tropfsteingebilden, brachte sie zum Gleißen und wurde vielfach gebrochen reflektiert. Jeder Schwenk der Lampen schuf so eine Vielzahl von Leuchtreflexen. Das Spiel von Licht und Schatten täuschte Leben und huschende Bewegungen vor. Und noch etwas, das … nicht hierhin gehörte. Zu den optischen Reizen erschuf seine Phantasie die passenden Laute: ein feuchtes Schleifen und Huschen, leise, platschende, schnelle Schritte, etwas wie ein Atmen …
William Forbes presste die Lippen fest zusammen. Er hatte keinen Blick für die Schönheit der Tropfsteinhöhle, sondern betrachtete sie mit ganz anderen Blicken. Und was er sah, gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht. Zwar sah die Decke massiv aus und wurde noch zusätzlich durch die steinharten Tropfsteinsäulen gestützt, aber die Dimensionen der Höhle waren gewaltig, auch wenn er die Größe des eingestürzten Teils nur schätzen konnte. Im hinteren Teil führten bogenförmige Durchgänge in der Felswand in eine weitere, möglicherweise ebenso große Höhle, und wenn es diese beiden gab, war anzunehmen, dass noch weitere existierten. Die Vorstellung eines ganzen Systems solcher Grotten unter dem Zentrum der Stadt war nicht nur unheimlich, sondern äußerst beängstigend. Da die Zahl der Einwohner rapide anstieg, wuchs die Stadt immer mehr, und das nicht nur flächenmäßig. Der Trend, immer höhere – und damit schwerere! – Häuser zu erbauen, zeichnete sich bereits seit Jahren ab, und wenn er sich weiterhin fortsetzte, würde man irgendwann Häuser mit zehn, zwanzig, vielleicht noch mehr Stockwerken bauen. Irgendwann würde man die Grenzen dessen übersteigen, was die Höhlendecken an Gewicht zu tragen vermochten. Möglicherweise war das, was mit dem Hansom-Komplex passiert war, nur der Anfang.
Sicher, sie befanden sich tief unter der Erde, gute achtzig bis neunzig Fuß, eher mehr, da die Höhlen noch ein gutes Stück tiefer als der tiefste Punkt der geplanten U-Bahn-Linie lagen, doch das bedeutete noch längst nicht, dass der gesamte Zwischenraum aus festem Fels bestand. Forbes wusste sogar mit absoluter Sicherheit, dass dies nicht der Fall war. Die Oberfläche bestand aus ganz normalem Erdreich und es gab eine Lehmschicht von unterschiedlicher Dicke. Außerdem verlief noch das Kanalisationssystem unter der Stadt. Möglicherweise maß
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